Der Chemie-Nobelpreis geht 2022 an K. Barry Sharpless, Morten Meldal und Carolyn Bertozzi, die jeweils ein Drittel des Preises erhalten. Sie werden ausgezeichnet für: „the development of click chemistry and bioorthoganol chemistry“.
Sharpless hat übrigens 2001 schon einmal einen Nobelpreis in Chemie erhalten. Den Preis damals erhielt er für die Entwicklung von stereoselektiven Reaktionen, die wie z.B. die Sharpless-Epoxidierung auch seinen Namen tragen.
Aber hier geht es ja nicht um den Nobelpreis von 2001, sondern um den von 2022. Und damit das ganze einen roten Faden hat, müssen wir bei der click chemistry anfangen und uns dann zur bioorthogonalen Chemie vorarbeiten.
Click-Chemie
Das Konzept, das der Click-Chemie zugrunde liegt, ist im Prinzip ziemlich einfach: man möchte gerne Moleküle so simpel wie möglich zusammenbauen können, wie durch aneinanderstecken von Legosteinen beispielsweise. Spannend wird es, wenn wir uns fragen, wieso. Denn einfach zusammen zu bauende Moleküle ermöglichen es, sehr schnell und einfach sehr viele Stoffe mit unterschiedlichsten Eigenschaften zu erzeugen. Die Substanz-Bibliotheken, die dabei entstehen, sind oft die Grundlage für die Entwicklung neuer Arzneistoffe (na sieh an, endlich mal wieder ein Blogbeitrag mit direktem Bezug zur Pharmazie). Dieses Konzept, durch einfaches Zusammenfügen von Molekülbausteinen eine große Vielfalt an Substanzen herzustellen, nennt man kombinatorische Chemie. Dieses Konzept gibt es auch schon seit einigen Jahrzehnten, aber lange haben die Methoden zum Zusammenfügen der Bausteine gefehlt. Und genau hier kommt die Click-Chemie ins Spiel.
Es gibt eine ganze Reihe an Bedingungen, die eine Reaktion erfüllen muss, um eine gute Click-Reaktion zu sein. Unter anderem sind das: die Reaktion muss ein vielfältiges Anwendungsgebiet haben, sie darf keine komplizierten Reaktionsbedingungen benötigen, sie muss hohe Ausbeuten liefern, sie sollte am besten in Wasser ablaufen können (was viele Reaktionen in der organischen Chemie nicht tun), sie sollte am besten keine Nebenprodukte haben und sie sollte schnell ablaufen. Das sind eine ganze Menge Bedingungen, und dementsprechend schwierig ist es, Reaktionen zu finden, die sie alle erfüllen. Trotzdem ist Sharpless und Meldals Gruppen genau das unabhängig voneinander gelungen.
Die Reaktion, die von den beiden Arbeitsgruppen als erste richtige Click-Reaktion gefunden wurde, ist die 1,3-dipolare Cycloaddition mit Aziden. Was sich erstmal relativ kompliziert anhört, lässt sich aber trotzdem in ein paar Sätzen zusammenfassen. Azide sind eine funktionell Gruppe bestehend aus drei Stickstoffatomen hintereinander. Dabei ist immer eines dieser Stickstoffatome positiv geladen und ein anderes negativ, die funktionelle Gruppe besitzt also einen Dipol. Und Azide können durch diesen Dipol mit Alkenen (zwei Kohlenstoffe durch eine Doppelbindung verbunden) und Alkinen (zwei Kohlenstoffe durch eine Dreifachbindung verbunden) reagieren. Dabei formen sie eine ringförmige Verbindung aus den drei Stickstoff- und den zwei Kohlenstoffatomen. Daher wird diese Art von Reaktion auch als 3+2-Cycloaddition bezeichnet.
Die Cycloaddition mit Aziden an sich eignet sich aber noch nicht unbedingt für die Click-Chemie. Erst eine weitere Entdeckung machte die Reaktion so universell einsetzbar: Die Reaktion kann durch Kupfer katalysiert werden. Die Katalyse sorgt dafür, dass die Reaktion deutlich schneller abläuft, und auch Ausgangverbindungen verwendet werden können, die ohne Katalysator nicht geeignet wären. Durch das Kupfer wurde die 1,3-dipolare Cycloaddition zu einer echten Click-Reaktion, mit der einfach, schnell und mit hoher Ausbeute verschiedenste Molekülfragmente zusammengebaut werden können. Wegen dieser Vielseitigkeit wird die Reaktion auch entsprechend oft eingesetzt; für die Arzneistoffentwicklung, wie ich es weiter oben beschrieben habe, aber natürlich auch in vielen weiteren Anwendungsfeldern.
Bioorthogonale Chemie
Carolyn Bertozzi erhält den Preis für die Anwendung von Click-Chemie als bioorthogonale Reaktion (ein Begriff, der damals übrigens noch nicht existierte und den Bertozzi entscheidend prägte).
Bioorthogonale Reaktionen sind Reaktionen, die so selektiv für die beteiligten Substanzen sind, dass sie sogar in Zellen störungsfrei ablaufen können. Das ist deshalb besonders, weil Zellen extrem vollgepackt sind mit mehr oder weniger reaktiven Molekülen, die zu ungewollten Nebenreaktionen führen können.
Um die Cycloaddition mit Azid in lebenden Systemen benutzen zu können, musste allerdings ein Problem überwunden werden: Kupfer ist ein Schwermetall und damit giftig. Das ist ein ziemlich großes Problem, da es ja gerade der Kupfer-Katalysator ist, der die Reaktion schnell genug ablaufen lässt. Bertozzi und Kollegen haben aber eine Lösung gefunden. Es gibt nämlich Ausgangsstoffe mit speziellen Eigenschaften, bei deren Verwendung die Reaktion auch ohne Katalysator genauso schnell ist.
Wenn man die Azidgruppe mit sogenannten cyclischen Alkinen reagieren lässt, benötigt man kein Kupfer als Katalysator. Cyclische Alkine sind einfach ringförmige Moleküle, die eine Dreifachbindung beinhalten. Und weil sich Dreifachbindungen ungern zu einem Ring biegen lassen, haben diese Moleküle sehr viel Energie, wodurch sie wiederum deutlich reaktiver sind als einfache Alkine. Daher lassen sie sich auch ohne Katalysator einsetzen.
Wozu Bertozzi und ihre Gruppe Click-Reaktion zwischen Azid und cyclischen Alkinen eingesetzt haben, finde ich persönlich extrem spannend. Viele Zellen besitzen um ihre Membran eine Schicht von Polysacchariden, also Zuckermolekülen, die Glykokalyx genannt wird. Die Glykokalyx hat einige wichtige Eigenschaften für die Zellen (z.B. bestimmt die Glykokalyx von Erythrozyten unsere Blutgruppe) und Berrtozzis Gruppe wollte diese Polysaccharidschicht untersuchen. Dafür brachten sie Zellen dazu, in diese Polysaccharide modifizierte Zuckermoleküle einzubauen, die eine Azidgruppe enthalten. Das Azid konnten sie dann wiederum mit einem cyclischen Alkin reagieren lassen, und an das cyclische Alkin konnten sie ein drittes, fluoreszierendes Molekül binden (für die, die es wissen wollen: es handelte sich um ein biotinyliertes cyclisches Alkin und Fluoreszenz-gelabeltes Avidin). Das ermöglichte schließlich einen direkten Zusammenhang zwischen Zuckermolekül und Fluoreszenz. Fluoreszenz-basierte Methoden sind sehr wichtig in der Biochemie, denn es lassen sich mit ihrer Hilfe eine ganze Reihe unterschiedlicher Messungen durchführen. Am Eindrucksvollsten ist aber die Fluoreszenzmikroskopie, mit der Dinge sichtbar gemacht werden können, die ansonsten nicht sichtbar sind. Und dank der bioorthogonalen Chemie gehören Polysaccharide an der Oberfläche von Zellen ebenfalls zu diesen Dingen.
Bertozzi und ihre Gruppe waren außerdem in der Lage, diese Methode nicht nur in der Zellkultur anzuwenden, sondern auch in lebenden Mäusen. Dazu brachten sie auch die Mäuse dazu, modifizierte Zucker an den Zelloberflächen einzubauen. Diese Zellen entnahmen sie dann und färbten sie ex vivo mittels Click-Reaktion und fluoreszierendem Farbstoff.
Die Reaktion zwischen Azid und Alkinen war nicht die einzige, die in Bertozzis Gruppe eingesetzt wurde, wohl aber eine der erfolgreichsten. Und da wir gerade bei anderen Reaktionen sind: Es gibt inzwischen eine wirkliche Fülle an bioorthogonalen Reaktionen, die zu einem Standardwerkzeug in der Biochemie (und vielen anderen Gebieten) geworden sind. Zum Beispiel wird auch in dem Labor, in dem ich arbeite, bioorthogonale Chemie eingesetzt.
Und wie schon bei meinem Beitrag zum Medizin-Nobelpreis gilt: wenn ihr mehr wissen wollt, seht euch am besten die Popular Information oder Advanced information auf der Website des Nobelpreises an.
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