Ideen für ein besseres Pharmaziestudium

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In gewisser Hinsicht ist das Pharmaziestudium ein ziemlich spezielles. Und nicht etwa, weil ich Pharmazie studiert habe und mich besonders fühlen möchte. Sondern weil es für ein Studium eigentlich ein außergewöhnlich genaues Ziel hat – Menschen als Apotheker:innen für Offizin (die „ganz normale“ öffentliche Apotheke) und Krankenhaus auszubilden. Doch trotz dieses Ziels sieht der Inhalt des Studiums größtenteils anders aus: Es sind das naturwissenschaftliche Verständnis von Arzneimitteln und die entsprechenden wissenschaftlichen Grundlagen dafür, die die Studienzeit dominieren. Ich möchte hier einige Ideen liefern, wie eine Reform des Pharmaziestudiums Studierende besser auf die diversen Tätigkeiten von Apotheker:innen vorbereiten kann.

Dass diese Dichotomie des Pharmaziestudiums zu viel Frust und zu dem nachvollziehbaren Wunsch nach einer Anpassung führt, ist wohl selbstverständlich. Da ich in diesem Text aber noch genug über mögliche Wege schreiben werde, das Studium zu reformieren, soll es hier erst einmal darum gehen, weshalb der naturwissenschaftliche Fokus des Studiums grundsätzlich gut ist.

Pharmazeutische Scientific Literacy

Die Pharmazie ist unbestreitbar eine Naturwissenschaft. Ein echtes Verständnis von der Wirkungsweise, der Entwicklung, der Herstellung und der Analytik von Arzneimitteln setzt solides naturwissenschaftliches Wissen voraus. Das ist auch einer der Aspekte, die die Pharmazie so spannend machen: So viele Disziplinen kommen dort zusammen, weshalb Pharmazeut:innen auch alle davon kennenlernen müssen. Organische und anorganische Chemie, chemische Analytik, Biochemie, Molekularbiologie, Mikrobiologie, Botanik, Physik, Verfahrenstechnik und viele weitere.

Offensichtlich erwarten wir von Pharmazeut:innen, den Expert:innen im Bereich Arzneimittel, dass sie ein solches echtes Verständnis von Arzneimitteln haben, oder etwa nicht? Dann kommen wir auch nicht daran vorbei, die entsprechenden wissenschaftlichen Grundlagen im Pharmaziestudium zu lehren. Abgesehen davon sind fast 20 Prozent aller Pharmazeut:innen nicht in Apotheken tätig, sondern vor allem in der pharmazeutischen Industrie und  in Universitäten, aber auch in Prüfinstituten oder Behörden. Diese Pharmazeut:innen brauchen unter Umständen ihr naturwissenschaftliches Wissen dringender als ihre klinisch-pharmazeutischen Kenntnisse. Und auch sie müssen auf ihre Rollen in Forschung und Industrie im Studium vorbereitet werden.

Schließlich ist es noch von außerordentlicher Bedeutung, dass Studierende eine Pharmazie-bezogene Form von scientific literacy erwerben. Es gibt einen Grund, weshalb die naturwissenschaftlichen Grundlagen die naturwissenschaftlichen Grundlagen heißen. Auf diesem Wissen aufbauend, zusammen mit der wissenschaftlichen Methodik, können neue Erkenntnisse erarbeitet und bewertet werden. Damit sind studierte Pharmazeut:innen in der Lage, neue Entwicklungen und Informationen im Sinne ihrer Patient:innen einzuordnen.

Aber wieso sollte das Pharmaziestudium reformiert werden, wenn die Studierenden solche wertvollen Fähigkeiten lernen? Und wie kann so eine Reform aussehen, ohne dass die naturwissenschaftlichen Aspekte vernachlässigt werden?

Modernisierung im Pharmaziestudium

Der Knackpunkt liegt in der Fülle des Stoffs, der vermittelt werden muss. Erst 2022 hat die Apotheker:innenschaft vorgeschlagen, den universitäre Teil des Studiums (vor dem praktischen Jahr) von acht auf zehn Semester zu verlängern und weitere Reformen vorzunehmen. Da das Studium aber nicht beliebig verlängert werden kann – und immer mehr Stoff dazukommt, wenn der Stand der Wissenschaft sich weiterentwickelt – muss zwangsweise ein Teil des alten Stoffs gestrichen werden. So etwas ist natürlich eine schwere Entscheidung, aber wenn wir uns das Pharmaziestudium genau anschauen, fallen dennoch einige Möglichkeiten auf: Ich stelle hier einfach mal die provokative These in den Raum, dass niemand vier Praktika zu (hauptsächlich) nasschemischer Analytik benötigt. Nasschemische Nachweise spielen praktisch kaum noch eine Rolle, und mit zunehmender Geschwindigkeit verschwinden sie auch aus ihrer letzten Bastion, den Apotheken. Chemische (und Bio-) Analytik spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle im Pharmaziestudium, aber hier ließe sich sehr viel Stoff einsparen und Raum für modernere Analysemethoden sowie andere Themen gewinnen. Die nasschemische Analytik ist außerdem nicht das einzige Thema, bei dem veraltete oder veraltende Aspekte deutlich mehr Raum einnehmen als moderne.

Generell könnten im Grundstudium Themen, die über diverse Fächer und Semester verteilt vermittelt werden, konsolidiert werden, um Dopplungen zu vermeiden und sie effektiver zu unterrichten.

Der größte Diskussionspunkt ist jedoch die klinische Pharmazie sowie andere apothekenspezifische Themen. Wie sollen sie gelehrt werden und welchen Stellenwert sollen sie im Studium generell einnehmen?

Klar ist: Vermittelt werden müssen sie. Zu meiner Studienzeit gab es in Freiburg nichtmal eine Professur für klinische Pharmazie. Dementsprechend war der Stoff auf ein Minimum reduziert und wurde auf die anderen Lehrstühle sowie die Apotheke der Uniklinik verteilt unterrichtet. Das hat dazu geführt, dass sich kaum jemand gut (oder überhaupt) auf eine Tätigkeit in der Apotheke vorbereitet fühlte.

Eine Ausweitung des Studiums auf zehn Semester macht schon einen Schritt in die richtige Richtung, weil damit auch mehr Raum für die klinische Pharmazie geschaffen wird. Um allen Anforderungen gerecht zu werden, müssen den Studierenden meiner Ansicht nach aber Wahlmöglichkeiten ermöglicht werden.

Wahlmöglichkeiten für Studierende

Das Thema Wahlfächer in der Pharmazie ist schwierig. Der Ablauf des Studiums ist bundesweit einheitlich durch die Approbationsordnung geregelt und der Gesetzgeber bekundet sein Interesse daran, eine ausreichende Ausbildung von Apotheker:innen sicherzustellen, sowohl darin als auch in der Bundes-Apothekerordnung. Trotzdem ist es meiner Ansicht nach möglich, Studierenden Wahlmöglichkeiten und Spezialisierungen zu ermöglichen, ohne dass die Absolvent:innen nicht mehr in der Lage sind, in Offizin- oder Krankenhausapotheken zu arbeiten.

Die Basis muss sein, dass der bisherige Studieninhalt effizienter organisiert, Veraltetes gekürzt und der universitäre Teil des Studiums auf 10 Semester verlängert wird. Dadurch würden Zeit und Kapazitäten verfügbar, im Hauptstudium Wahlmöglichkeiten zu schaffen.

Dabei wäre es definitiv nicht nötig, viele verschiedene Wahlfächer und unterschiedlichste Spezialisierungen anzubieten. Mit einem zweizügigen System wäre schon viel erreicht, bei dem Studierende zwischen einem eher klinisch ausgerichteten und einem naturwissenschaftlich ausgerichteten Hauptstudium wählen können. Klinisch interessierte Student:innen bekommen einen vertieften Einblick in den Apotheken- und Krankenhausbetrieb, ausführliche Lehrveranstaltungen zur Arzneitherapie und die Möglichkeit, sich eingehend mit klinischen Fallbeispielen zu beschäftigen oder von Apotheker:innen aus Offizin und Krankenhaus zu lernen. Entsprechend können naturwissenschaftlich interessierte Student:innen mehr Zeit mit Laborpraktika verbringen, moderne und fortgeschrittene Methoden erlernen und eigene kleine Forschungsprojekte verfolgen. Das jeweilige Gegenstück wird im Vergleich zur gewählten Ausrichtung dann weniger ausführlich gelehrt, allerdings ausreichend, um den Studierenden die Kenntnisse darin zu vermitteln, die sie brauchen.

Konsequent weitergedacht erstreckt sich diese Zweiteilung auch auf das praktische Jahr. Es wäre zum Beispiel vorstellbar, in der ersten Hälfte des praktischen Jahres Seminare anzubieten, die den Stoff für das dritte Staatsexamen abdecken, der zurzeit in beiden PJ-Hälften vermittelt wird. (Natürlich würde das mehr Zeit für Seminare und weniger Zeit in der Ausbildungsstätte bedeuten.) In der zweiten Hälfte können die angehenden Apotheker:innen dann entscheiden, ob sie vertiefende Seminare zu apothekenbezogenen Themen hören oder solche, die für Tätigkeiten in der Industrie, Forschung oder Verwaltung relevant sind.

Kontext und Kompetenzen

Ich möchte dabei auf keinen Fall den Eindruck erwecken, nur Themen im Studium zulassen zu wollen, die von unmittelbarer Relevanz für den jeweiligen Beruf sind, den die Studierenden später ergreifen. Es ist wichtig, zusammen mit Wissen auch Kontext dafür zu vermitteln, sowie methodologische Kompetenzen. Aber ich glaube, dass mit einer Modernisierung des Studieninhalts und mehr Wahlmöglichkeiten auch mehr Raum dafür ist.

Auch wenn es paradox klingen mag, aber indem veraltete Inhalte und Strukturen modernisiert werden kann sich besser auf z.B. Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Geschichte der Pharmazie konzentriert werden, die dem sonstigen Gelernten relevanten Kontext und quasi einen Rahmen hinzufügen.

Wenn ich an dieser Stelle kurz abschweifen darf: Ich hatte Geschichte der Pharmazie als Fach (freiwillig und ohne Prüfung) im ersten Semester. Und obwohl es interessant war, wurden wenig Verbindungen zwischen der Geschichte hergestellt und den Gründen, weshalb die Pharmazie heute das ist, was sie ist. Genau das würde ich mir aber – für mich persönlich und auch für andere Studierende – wünschen.

Aber nachdem wir jetzt in dieser Utopie eines reformierten Pharmaziestudiums geschwelgt haben, müssen wir uns leider wieder von der Realität einholen lassen. Denn es gibt einen entscheidenden Faktor, der diese Vorstellung sehr unwahrscheinlich macht: das liebe Geld.

Die nüchterne Realität

Eine Reform der Approbationsordnung kostet Geld – ganz zu schweigen von den vielen widerstreitenden Interessen der Personen, die daran mitarbeiten würden. Die Umsetzung der neuen Regelungen in Studieninhalte kostet Geld; für Räumlichkeiten, Equipment und allen voran Personal. Apropos Personal, wer soll die zusätzliche Lehre für die zwei Semester übernehmen, die dazukommen? Der akademische Mittelbau ist sowieso schon überlastest (was wir nicht zuletzt dem WissZeitVG zu verdanken haben). Aber dass all das teuer wird, wird euch jede:r direkt sagen. Es gibt auch Kosten, an die oft nicht direkt gedacht wird.

Zwei zusätzliche Hochschulsemester bedeuten für die Studierenden ein weiteres Jahr ohne richtiges Gehalt. Für viele Student:innen kann das ein großes Problem sein, zumal die Bezahlung im darauffolgenden praktischen Jahr alles andere als angemessen und oft weit unter Mindestlohn ist. Zusätzliche Seminare im PJ bedeuten, wenn sie in Präsenz stattfinden, außerdem mehr Reise- und Übernachtungskosten, die eventuell nicht alle tragen können. Bei einer Reform müssten also Lösungen mitgedacht werden, um nicht etwa weniger wohlhabende Studierende noch mehr auszuschließen, als sie es sowieso schon sind.

Abgesehen davon gibt es natürlich valide Argumente gegen eine, wenn auch nur zweizügige, Spezialisierung im Pharmaziestudium. Nicht alle Student:innen werden sich schon vor Beginn des Hauptstudiums sicher sein, welche Richtung sie bevorzugen. Und wenn sich jemand für eine Richtung entschieden hat – hat diese Person überhaupt noch die Chance auf einen Job mit anderer Ausrichtung? Auch darüber zu diskutieren ist notwendig. Ich denke jedoch, es ist eine Abwägung, über die zumindest nachzudenken sich lohnt.

Wenn ich jetzt aber selber schon Gründe gegen meine Vorschläge aufführe, wieso also das Ganze?

Ich möchte dem Thema Aufmerksamkeit geben, denn die Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland hängt ziemlich direkt von der Ausbildung der Apotheker:innen ab. Und ich möchte einige Ideen liefern, wie diese Ausbildung vielleicht verbessert werden kann, wie wir mit dem Pharmaziestudium gute Startbedingungen für Menschen in Offizin, Klinik, Forschung und Industrie schaffen können.

Vielleicht könnt ihr euch ja etwas von diesem Text mitnehmen und ihn als Anstoß für eigene Gedanken darüber sehen. Denn meine Ideen sind definitiv nicht die einzigen, die es wert sind, diskutiert zu werden – der Vorschlag für eine wissenschaftliche Abschlussarbeit für alle Pharmaziestudierenden steht beispielsweise im Raum und verdient definitiv Aufmerksamkeit. Und falls ihr diesen Text teilt oder er gar Gespräche auf Social Media oder im echten Leben über eine Reform des Pharmaziestudiums inspiriert und dem Thema damit Aufmerksamkeit verleiht, dann hat er sein Ziel auf jeden Fall erreicht.

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