Ein Blog über die Wissenschaft hinter Arzneimitteln

Category: Toxikologie

Zelltherapie gegen Krebs: Was CAR-T-Zellen können und was sie nicht können

In den letzten Jahrzehnten hat die Medizin wirklich enorme Fortschritte gemacht, und in kaum einem anderen Bereich ist das so spürbar wie in der Krebstherapie. Tumorerkrankungen, die früher ein quasi sicheres Todesurteil darstellten, haben heute Heilungswahrscheinlichkeiten von 90% oder mehr! Möglich gemacht wurde das von einigen revolutionären Tumortherapien, die unsere Behandlungsmöglichkeiten nach und nach erweiterten. Angefangen hat in den 1940er Jahren alles mit N-Lost als erstes richtiges Zytostatikum. Richtig große Sprünge hat die Tumortherapie aber auch in den letzten Jahrzehnten gemacht, als zum Beispiel die ersten monoklonalen Antikörper aufkamen, oder mit Imatinib als der erste Tyrosinkinase-Inhibitor, der eine ganze Klasse von Wirkstoffen begründet hat. Aber hier soll es um eine der neuesten Revolutionen der Krebstherapie gehen, die CAR-T-Zellen. Und vor allem soll es darum gehen, wie die CAR-T-Zelltherapie in Zukunft noch effektiver und vielseitiger werden könnte.

Zelltherapie mit chimären Rezeptoren

Bei CAR-T-Zellen handelt es sich um den Wirkstoff (ja, auch ganze Zellen können ein Wirkstoff sein!) einer Zelltherapie zur Behandlung verschiedener Krebserkrankungen. Und das Prinzip dahinter ist so simpel wie genial: denn die CAR-T-Zelltherapie ermöglicht es unserem Immunsystem, Tumorzellen zu erkennen und zu töten. Dazu werden Patient:innen eine Art von Immunzellen – die T-Lymphozyten – entnommen, die dann gentechnisch modifiziert werden. Mithilfe eines viralen Vektors wird ein Gen in die Zellen eingeschleust, das für einen chimären Antigenrezeptor codiert (= CAR). Dafür werden z.B. Lentiviren verwendet, die häufig zur Transduktion (= Gentransfer durch Viren) von Säugerzellen eingesetzt werden. Das Gen wird in das Erbmaterial der T-Zellen eingebaut, die den chimären Antigenrezeptor daraufhin stabil exprimieren. Es ist dieser chimäre Rezeptor, der es den CAR-T-Zellen ermöglicht, Tumorzellen zu erkennen. Aber wieso? Wie schafft er es, den Zellen diese Fähigkeit zu verleihen?

Übersicht über den Ablauf der CAR-T-Zelltherapie (Bild: Michels, A. et al. 2020, DOI 10.1007/s00103-020-03222-8, CC BY 4.0)

Zusammengepuzzelte CARs

Manche Krebsarten exprimieren vermehrt bestimmte Antigene. Das bedeutet, dass von einer oder mehreren Arten von Proteinen mehr gebildet wird und diese dann auch auf der Oberfläche der Krebszellen sichtbar sind. CARs werden so entworfen, dass sie genau diese Antigene erkennen können. Häufig ist der Bereich der CARs, der dafür zuständig ist, an der Antigen-bindenden Struktur von Antikörpern orientiert. An dieser Antigen-bindenden Domäne hängt ein Linker, der sie mit einer Transmembrandomäne verbindet. Diese liegt (wie der Name vermuten lässt) innerhalb der Membran der CAR-T-Zellen. Sie leitet das Signal, dass der Rezeptor ein Tumor-Antigen gebunden hat, in das Innere der Zelle weiter. Die Transmembrandomäne stammt normalerweise aus einem von mehreren natürlich vorkommenden Proteinen aus Immunzellen (u.a. CD28 oder CD3).

Modell eines CARs (pink und orange) in der Memran (grau) zusammen mit dem Signalprotein ZAP70 (blau) (Bild: PDB-101, D. Goodsell, http://doi.org/10.2210/rcsb_pdb/mom_2017_10)

Im Inneren der Zelle angekommen folgt dann „nur“ noch die Signaldomäne. Sie ist der am ausführlichsten untersuchte Teil der CARs. Sie besteht ebenfalls aus einem Teil des CD3-Antigens, das aus „normalen“ T-Zellen stammt. Die Aktivierung des CARs führt dazu, dass einige Tyrosin-Aminosäuren der Signaldomäne phosphoryliert, also chemisch mit einer Phosphatgruppe verknüpft werden. Phosphorylierungen fungieren in der Biologie häufig als Signalweiterleitung. So auch hier, denn die Phosphorylierung der Signaldomäne aktiviert die T-Zelle, die daraufhin die von ihr erkannte Tumorzelle abtötet. Das allein reicht aber oft nicht aus. Deshalb wurden in der „zweiten Generation“ von CARs co-stimulierende Domänen hinzugefügt. Diese stammen ebenfalls aus Immunzellen und haben dort im Prinzip die gleiche Aufgabe. Sie verstärken das Signal zur Aktivierung von T-Zellen, aber mit dem kleinen Unterschied, dass in natürlichen T-Zellen der T-Zell-Rezeptor und der Co-Stimulator zwei getrennte Proteine sind.

Antigene erkennen ohne Brimborium

Ein chimärer Antigenrezeptor besteht also aus vielen unterschiedlichen Immunzell-Proteinen, die „einfach“ zu einem Rezeptor kombiniert wurden. Aber wieso das Ganze, wenn auch natürlich vorkommende Immunzellen die einzelnen Proteine besitzen? Um das zu verstehen, müssen wir uns erstmal anschauen, wie T-Zellen normalerweise aktiviert werden:

Zuerst ein kleiner Disclaimer: Es gibt diverse unterschiedliche Arten von T-Zellen, und nur eine davon, die zytotoxischen T-Zellen (die auch so schön poetisch T-Killerzellen genannt werden) tötet wirklich von ihr erkannte infizierte oder maligne Zellen ab. Die anderen sind dafür zuständig, Signalmoleküle auszuschütten, die Immunantwort zu regulieren oder ein immunologisches Gedächtnis zu bilden. Behaltet also einfach im Hinterkopf, dass „Die T-Zelle tötet die erkannte Zelle ab“ eine starke Vereinfachung ist.

Aber wie funktioniert dieses Erkennen und Abtöten jetzt? Zu diesem Zweck haben die T-Zellen den T-Zell-Rezeptor (der – wie das meiste in der Immunologie – ganz schön kompliziert aufgebaut ist). Mit diesem Rezeptor können die T-Zellen Antigene erkennen. In diesem Fall sind das Bestandteile von infizierten oder entarteten Zellen. Der T-Zell-Rezeptor kann diese Antigene aber nicht einfach so erkennen, nein, sie müssen ihm stattdessen von der anderen Zelle präsentiert werden. Dafür gibt es spezielle Proteine, die MHC-I heißen. Mit deren Hilfe präsentieren Zellen Schnipsel von quasi allen Proteinen, die sich in ihrem Inneren befinden. Bindet jetzt der T-Zell-Rezeptor ein Antigen auf einem MHC-I-Komplex, dann kommen die oben schon erwähnten Co-Stimulatoren ins Spiel. Diese müssen auch noch ihre entsprechenden Gegenstücke auf der Antigen-präsentierenden Zelle binden. Und wenn das der Fall ist, dann weiß die T-Zelle, dass es sich bei der Antigen-präsentierenden Zelle z.B. um eine Tumorzelle handelt und tötet sie ab. (Oder entfaltet eine der anderen möglichen Effekte von T-Zellen).

Das Schöne an CAR-T-Zellen ist, dass sie dieses ganze Brimborium mit MHC-I und Co-Stimulatoren nicht brauchen. Sie können Antigene dank der CARs auch einfach so erkennen. Das ist auch gut so, denn manche Krebszellen verzichten einfach darauf, ihre Antigene mit MHC-I zu präsentieren und können deshalb nicht vom Immunsystem erkannt werden (das ganze nennt sich Immunevasion). Die CAR-T-Zellen ermöglichen es dem Immunsystem aber wieder, diese Tumorzellen trotzdem zu erkennen und zu bekämpfen.

Künstlerische Darstellung einer CAR-T-Zelle (blau), die mit ihren CARs (rot) eine Leukämiezelle (grün) erkennt und attackiert (Bild: PDB-101, D. Goodsell, http://doi.org/10.2210/rcsb_pdb/mom_2017_10)

Was CAR-T-Zellen können und was sie nicht können

Aktuell sind sechs CAR-T-Zelltherapien in der EU zugelassen. Sie erkennen eines der beiden Proteine CD19 und BCMA, die in B-Lymphozyten vorkommen. Daher werden diese CAR-T-Zelltherapien auch bei Tumorerkrankungen von B-Lymphozyten wie beispielsweise der akuten lymphatischen Leukämie eingesetzt. Diese Behandlungen sind zwar extrem teuer – mehrere hunderttausend Euro – aber auch oft die letzte Hoffnung für Patient:innen. Und tatsächlich erreichen die CAR-T-Zelltherapien zum Teil sehr beeindruckende Heilungsraten.

Aber wieso werden CAR-T-Zellen dann nicht für viel mehr Arten von Krebserkrankungen verwendet? Die CAR-T-Zelltherapie bringt auch einige Schwierigkeiten mit sich. Einerseits können die CAR-T-Zellen sehr drastische Nebenwirkungen und toxische Effekte haben. Eine der Nebenwirkungen, das manchmal sogar lebensbedrohliche Zytokin-Freisetzungssyndrom, entsteht vermutlich, weil die CAR-T-Zellen “zu gut” sind. Denn weil auf einmal massenhaft Tumorzellen absterben, werden sehr viele Botenstoffe freigesetzt, die beispielsweise Fieber und Atembeschwerden auslösen können.

Außerdem ist die Verwendung von CAR-T-Zellen bei soliden Tumoren eine besondere Herausforderung. Denn einerseits müssen die CAR-T-Zellen erstmal einen Weg finden, in diese Tumore eindringen zu können. Andererseits schaffen Tumore sich oft eine Umgebung, in der Immunreaktionen unterdrückt werden. Zudem sind die Antigene aus soliden Tumoren viel häufiger auch in gesunden Zellen vorhanden, so dass es zu on-target off-tumor Effekten kommen kann, bei denen die CAR-T-Zellen gesundes Gewebe angreifen.

Allogene und ausschaltbare CAR-T-Zellen

Welche Möglichkeiten gibt es, diese Probleme zu lösen? Eine mögliche Lösung für die hohen Kosten könnten sogenannte allogene CAR-T-Zellen sein. Denn bisherige CAR-T-Zelltherapeutika werden aus den eigenen Zellen von Patient:innen hergestellt. Daher ist das jedes Mal ein individueller Prozess. Die Zellen von externen Spender:innen zu verwendet würde es ermöglichen, CAR-T-Zellen schon im Voraus in größeren Mengen herzustellen. Außerdem wären sie dadurch sofort einsatzbereit, anstatt erst nach der individuellen Herstellung, während der die Erkrankung weiter fortschreiten kann. Allerdings müssen dafür neue Probleme gelöst werden. Denn die fremden T-Zellen könnten zu einer Graft-versus-Host-Reaktion führen, also einer zytotoxischen Reaktion auf die allogenen Zellen. Außerdem werden die allogenen CAR-T-Zellen schneller durch das Immunsystem von Patient:innen beseitigt.

Um das Problem der Toxizität zu lösen, können Veränderungen am CAR selbst vorgenommen werden. Die co-stimulierende Domäne hat zum Beispiel einen großen Einfluss auf die Entstehung des Zytokin-Freisetzungssyndrom. Und tatsächlich könnte es auch helfen, die Affinität des Rezeptors für das Antigen zu verringern. Das vermindert zwar etwas die Wirksamkeit, aber vor allem attackieren die CAR-T-Zellen dadurch kaum noch gesundes Gewebe, sondern nur noch Tumorzellen.

Eine sehr spannende Möglichkeit sind ausschaltbare CAR-T-Zellen. Sie können durch die Gabe eines anderen Stoffs ausgeschaltet werden, sobald zu starke Nebenwirkungen auftreten. Das hat allerdings den Nachteil, dass dann keine CAR-T-Zellen mehr vorhanden sind, um die ursprüngliche Erkrankung zu bekämpfen. Daher wären CAR-T-Zellen am besten, die reversibel ausgeschaltet werden können. Eine Möglichkeit dafür, die schon untersucht wurde, ist der Tyrosinkinasehemmer Dasatinib. Es verhindert, dass die CAR-T-Zellen aktiviert werden können. Sobald es allerdings nicht mehr gegeben wird, sind die Zellen wieder aktivierbar und einsatzbereit.

Fazit

Das war jetzt ein ziemlich langer Text, aber über CAR-T-Zelltherapie gibt es auch einfach viel zu sagen. Das Konzept ist super spannend, und die Möglichkeit, Immunzellen so zu verändern, dass sie gegen Tumorzellen vorgehen, ist ein enormer Erfolg in der Krebstherapie.

Trotzdem müssen wir Wege finden, um das Konzept breiter anwenden zu können, gerade für solide Tumore. Auch dafür existieren tatsächlich schon Ideen (z.B. probiotic-guided CAR-T-Zellen), wie auch für viele andere Möglichkeiten, die Hürden zu einer breiteren Anwendung zu überwinden. Die Forschung an CAR-T-Zellen geht auf jeden Fall weiter, und wir werden abwarten müssen, ob und welche weiteren CAR-T-Zelltherapeutika ihren Weg in die Klinik finden.

Falls euch dieser Text gefallen hat, dann abonniert doch gerne meinen Email-Newsletter. Damit verpasst ihr in Zukunft keine neuen Beiträge auf PharmBlog mehr. Und falls ihr noch mehr zu dem Thema lesen möchtet, empfehle ich euch diese Review, das allerdings auch schon von 2019 ist und daher die allerneuesten Themen möglichweise nicht abbildet.

Pflanzen gegen Krebs? Pflanzliche Zytostatika

Man hört ja oft (vor allem in der Werbung für die entsprechenden Präparate), pflanzliche Arzneimittel seien besonders schonend und nebenwirkungsarm. Sie kämen schließlich direkt aus der Natur, und etwas natürliches müsse ja verträglicher sein als das chemisch hergestellt Pendant. Aber zu erkennen, dass es sich dabei – zumindest, wenn man es so allgemein formuliert – um Quatsch handelt, ist nicht weiter schwer. Man muss nur mal rausgehen, in die Natur, und die Augen offen halten. Dann sieht man sie: Eisenhut, Gefleckter Schierling, Herbstzeitlose, Fingerhut, Hundspetersilie. Alles komplett natürlich, alles potentiell tödlich. Und allein in dieser sehr unvollständigen Liste sind zwei Pflanzen, deren Inhaltsstoffe in Arzneimitteln verwendet werden: Digoxin und Digitoxin aus dem Wolligen Fingerhut (Digitalis lanata) und Colchicin aus der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale). Denn gerade die giftigen Inhaltsstoffe sind es manchmal, die sich als Arzneistoff eignen.

Diesen Beitrag möchte ich deshalb den pflanzlichen Zytostatika widmen. Pflanzlichen Zellgiften also, die es geschafft haben, wegen genau dieser Eigenschaft als Arzneistoffe eingesetzt zu werden.

Welche Zytostatika aus Pflanzen stammen

Im Prinzip existieren vier Substanzgruppen, die tatsächlich auch klinisch relevant sind. Das sind:

  • die Taxane aus der Pazifischen Eibe.
  • Die Vinca-Alkaloide, die aus dem Madagaskar-Immergrün stammen.
  • Die Derivate des Podophyllotoxin aus dem Schildförmigen Fußblatt.
  • Und schließlich noch die Derivate des Camptothecin, das im Chinesischen Glücksbaum vorkommt.

Diese vier Stoffgruppen werden im klinischen Alltag eingesetzt, um Krebserkrankungen zu behandeln. Zugegebenermaßen sind nicht alle Stoffe, die verwendet werden, auch natürliche Pflanzeninhaltsstoffe. Denn es gibt von allen sogenannte halbsynthetische Derivate. Das sind Wirkstoffe, die auf dem natürlich vorkommenden Stoff beruhen, aber chemisch so verändert wurden, dass sie bestimmte Eigenschaften aufweisen. Trotz dieser „verbesserten“ Versionen sind aber auch die echten Pflanzeninhaltsstoffe weiterhin in Verwendung.

Strukturformel von Paclitaxel, einem Zytostatikum aus der Gruppe der Taxane aus der Eibe

Und wo wir gerade beim Stichwort Verwendung sind, möchte ich nachfolgend ein paar Beispiele geben, wie die verschiedenen pflanzlichen Zytostatika eingesetzt werden.

Paclitaxel (auch Taxol genannt) gehört zu den Taxanen und wird unter anderem bei Brustkrebs oder nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (einer häufigen Form des Lungenkrebs) verwendet. Vincristin, ein Vinca-Alkaloid, wird bei einer Vielzahl von Tumoren eingesetzt, zum Beispiel bei akuter Leukämie oder Non-Hodgkin-Lymphomen (eine Krebserkrankung bestimmter Immunzellen). Und zum Abschluss noch das Podophyllotoxin-Derivat Etoposid, das ebenfalls bei Bronchialkarzinomen oder Lymphomen eingesetzt werden kann.

Wer aufmerksam gelesen hat, wird bemerkt haben, dass ich nur für drei der vier Stoffgruppen Beispiele genannt habe. Das liegt daran, dass es kein rein natürliches Camptothecin-Derivat gibt, das als Arzneistoff zugelassen ist. Die halbsynthetische Variante Topotecan wird aber beispielsweise bei Ovarialkarzinomen (Tumoren der Eierstöcke) eingesetzt.

Wie immer gilt hier: in den allermeisten Fällen werden Krebserkrankungen mit einer Kombination von mehreren Arzneimitteln therapiert. Auch die pflanzlichen Stoffe werden nicht für sich allein verwendet, sondern sind Teil eines komplizierten Therapieschemas.

Leider würde dieser Beitrag sehr lang werden, wenn ich ausführlicher auf alle diese Stoffe eingehen würde (auch wenn alle davon spannend genug wären). Deshalb habe ich Paclitaxel ausgewählt, um ein bisschen tiefer in das Thema einzutauchen.

Wo Paclitaxel herkommt

Wie schon gesagt stammt Paclitaxel aus der Pazifischen Eibe, deren lateinischer Name Taxus brevifolia ist. Die Pazifische Eibe ist wächst in Nordamerika, und zwar (wie der Name schon verrät) an der Pazifikküste im westlichen Teil des Kontinents. Am meisten Paclitaxel befindet sich in der Rinde des Baumes, die übrigens eine sehr auffällige rote Farbe hat.

Andere Eibenarten stellen kein Paclitaxel her. Allerdings ist es nicht der einzige Giftstoff aus der Klasse der Taxane, daher sind die anderen Eibenarten auch ohne es hoch giftig. Der einzige Teil der Eibe, der theoretisch genießbar ist, ist der rote Samenmantel. Allerdings sollte man auch diesen auf keinen Fall essen, denn der Samen selbst ist wieder giftig. Und auch wenn man auf die Idee kommen sollte, den Samen vorher zu entfernen, können schon kleine Reste davon für eine schwere Vergiftung ausreichen.

Pazifische Eibe
(JOE BLOWE from Bountiful, Utah, Iran – Taxus brevifolia bark, CC BY-SA 2.0)

Wie Paclitaxel wirkt

Es gibt in Zellen Moleküle, die (ein bisschen vereinfacht gesagt) Zeug von einem Ort zum anderen bewegen können, und der Zelle außerdem Stabilität verleihen. Eine Art dieser Moleküle sind die Mikrotubuli, die lange röhrenförmige Strukturen bilden, die sich durch die gesamte Zelle erstrecken können. Und unter anderem ist das „Zeug“, das die Mikrotubuli transportieren, die DNA während eine Zelle sich teilt.

Mikrotubuli sind extrem dynamische Strukturen. Sie bestehen aus kleineren Einheiten, dem Tubulin, und werden ständig auf- und wieder abgebaut, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. Paclitaxel kann an das Tubulin binden und stabilisiert die Mikrotubuli dadurch. Der Abbau der Mikrotubuli-Röhren wird gestört, und damit können die Mikrotubuli ihren Transport-Aufgaben nicht mehr nachkommen.

Sich teilende Zellen, bei denen die Chromosomen (rot) durch Mikrotubuli zu entgegengesetzten Enden der Zelle gezogen werden
(Ian P Newton & Paul L Appleton – Own work, CC BY-SA4.0)

Wenn man jetzt weiß, dass sich Tumorzellen sehr schnell teilen, viel schneller als die meisten anderen Zellen, und dass Mikrotubuli bei der Zellteilung zum Transport der DNA benötigt werden, lässt sich erahnen, wieso Paclitaxel zur Behandlung von Tumorerkrankungen eingesetzt wird. Aber auch Zellen, die sich gerade nicht teilen, sind von der Paclitaxel-Wirkung betroffen, weil die Mikrotubuli sehr viele unterschiedliche Aufgaben haben.

Wie Paclitaxel hergestellt wird

Wenn man Paclitaxel gewinnen möchte, dann könnte man natürlich die Arbeit der Pazifischen Eibe überlassen, die es ja sowieso herstellt, und den Stoff einfach aus dem Baum (v.a. aus der Rinde) isolieren. Leider wäre das aber furchtbar ineffizient, da die Pazifische Eibe einer der am langsamsten wachsenden Bäume überhaupt ist.

Die geradlinigste Alternative ist es daher, einfach statt des gesamten Baumes nur kultivierte Pflanzenzellen zu verwenden, mit denen man Paclitaxel im Fermenter (also einem Bioreaktor) herstellen kann. Die zweite Möglichkeit ist, Paclitaxel semisynthetisch herzustellen. Dazu nimmt man einen Vorläuferstoff, der schon relativ nahe am fertigen Paclitaxel ist. Dieser Stoff (10-Deacetylbaccatin) wird nämlich auch von der Europäischen Eibe gebildet, die deutlich schneller wächst. Und aus dem isolierten 10-Deacetylbaccatin kann dann relativ einfach mit chemischen Methoden Paclitaxel hergestellt werden.

Nur der Vollständigkeit halber möchte ich auch noch eine dritte Möglichkeit erwähnen. Denn nicht nur die Pazifische Eibe bildet Paclitaxel, sondern auch ein Pilz, der in der Pazifischen Eibe lebt. Daher kann man auch aus dem Pilz Paclitaxel gewinnen.

Welche Nebenwirkungen Paclitaxel hat

Mir ist es wichtig zu betonen, dass Paclitaxel im Grunde ein Zytostatikum wie jedes andere ist. Es spielt keine Rolle, ob es ursprünglich aus einer Pflanze, einem Tier oder einem Bakterium stammt, oder ob es rein synthetisch gewonnen wurde. Zytostatika sind Zellgifte, die Aufgrund dieser Wirkung eingesetzt werden, um Krebszellen zu töten. Und dementsprechend hat auch Paclitaxel wie alle anderen Zytostatika nicht zu vernachlässigende Nebenwirkungen.

Es führt zu einer Suppression des Knochenmarks, und dadurch zu einer verminderten Bildung von allen möglichen Blutzellen. Es kann zu Neuropathien, also Nervenschäden kommen, die sich zum Beispiel durch Missempfindungen äußern. Außerdem können Haarausfall, Schleimhautentzündungen, Übelkeit und allergische Reaktionen auftreten.

Aber wie bei allen anderen Zytostatika auch ist der Einsatz von Paclitaxel eine Abwägung der Nebenwirkungen gegen die vielen Leben, die durch die Behandlung gerettet werden können. Und da muss klar gesagt werden: es lohnt sich.

Ein Männlein steht im Walde – Das Gift des Fliegenpilzes

Fliegenpilze sind DAS Paradebeispiel, was Giftpilze angeht. Der rote Hut mit den weißen Punkten ist ikonisch, und jedes Kind weiß, dass man Fliegenpilze nicht essen sollte. In diesem Beitrag schauen wir uns gemeinsam das Gift des Fliegenpilzes etwas genauer an. Aus welchen Stoffen das Gift besteht, wie es gebildet wird, und wie es wirkt.

Der wissenschaftliche Name des Fliegenpilzes lautet Amanita muscaria. Er wächst in Nadelwäldern ebenso wie in Laubwälder, vor allem zwischen Juli und Oktober. Besonders häufig ist er wohl in der Nähe von Birken. Außerdem ist er der Pilz des Jahres 2022 (falls das irgendjemanden interessiert).

Ein Fliegenpilz

Ibotensäure und Muscimol: Das Gift des Fliegenpilzes

Sein Gift besteht hauptsächlich aus dem Inhaltsstoff Ibotensäure. Ibotensäure ist allerdings nicht sonderlich stabil, und bei der „Zubereitung“ zerfällt es zu der noch potenteren Substanz Muscimol. Außerdem enthält der Pilz in geringen Mengen auch Muscarin. Das ist zwar nach Amanita muscaria benannt, spielt für die Giftwirkung beim Fliegenpilz aber eigentlich keine Rolle.

Bei Ibotensäure handelt es sich um eine nicht proteinogene Aminosäure. Aminosäuren sind im Allgemeinen als die Grundbausteine von Proteinen bekannt. Aber tatsächlich werden nur 20 (naja, eigentlich ja 22) davon für den Aufbau von Proteinen eingesetzt. Und die restlichen, die nicht in Proteinen vorkommen, werden eben als nicht proteinogen bezeichnet.

Ibotensäure
Muscimol

Muscimol entsteht wie schon gesagt aus Ibotensäure. Dementsprechend ähnlich ist auch die chemische Struktur, aber es handelt sich nicht mehr um eine Aminosäure. Die Reaktion, bei der Muscimol aus Ibotensäure entsteht, wird als Decarboxylierung bezeichnet, da hier eine Carbonsäure genannte funktionelle Gruppe verloren geht.

Erstaunlicherweise wurde die Biosynthese von Ibotensäure erst vor kurzem aufgeklärt, tatsächlich von einem ehemaligen Professor von mir, und seiner Gruppe. Dabei ist die Existenz von Ibotensäure sowie ihre chemische Struktur schon seit Jahrzehnten bekannt. Fast genauso lange wurde auch schon gemutmaßt, dass Ibotensäure aus einer der beiden proteinogenen Aminosäuren Glutaminsäure oder Glutamin gebildet wird. Aber erst in diesem Paper von 2020 konnte bestätigt werden, dass die Ausgangssubstanz wirklich Glutaminsäure ist.

Aber wie genau stellt der Fliegenpilz jetzt Ibotensäure her? Vermutlich (ganz genau ist das noch nicht bekannt) geschieht die Biosynthese aus Glutaminsäure in fünf Schritten, die jeweils von einem anderen Enzym katalysiert werden. Dabei wird aus der Carbonsäure-Gruppe der Glutaminsäure der auffällige Ring der Ibotensäure (ein Isoxazolring, um genau zu sein) gebildet.

Wenn euch das jetzt noch zu vereinfacht war und ihr es genauer wissen wollt, kann ich euch diesen Artikel in Chemie in unserer Zeit empfehlen.

Die Wirkung des Giftes

Nachdem wir jetzt also geklärt haben, wie das Fliegenpilzgift hergestellt wird, können wir uns damit beschäftigen, wie es wirkt.

Nehmen wir einmal an, eine unwissende Person durch geht durch den Wald und findet bei ihrem Spaziergang einen lecker anmutenden roten Pilz mit kleinen weißen Pünktchen. Sie nimmt den Pilz mit nach Hause, bereitet sich ein Pilzragout daraus zu und isst es. Was wird diese Person daraufhin erleben?

Sie würde nach etwa 30 Minuten bis 2 Stunden die ersten Symptome spüren. Sie könnte sich verwirrt fühlen, die Wahrnehmung von Zeit könnte beeinträchtigt sein und sie könnte eine Hypersensitivität gegenüber visuellen und akustischen Reizen entwickeln. All das würde von Müdigkeit und einem sehr trockenen Mund begleitet sein, wahrscheinlich auch von Übelkeit und Erbrechen. Nach einiger Zeit würde wohl die Müdigkeit zunehmen, bis die Person in einen tiefen Schlaf mit sehr lebhaften Träumen fällt.

Der Grund für all das „könnte“ und „würde wahrscheinlich“ ist, dass die Symptome einer Vergiftung sehr verschieden sein können. Das korreliert stark mit dem variablen Gehalt an Ibotensäure in den Pilzen, der sehr unterschiedlich sein kann. Welche Vergiftungserscheinungen auftreten, und wie stark, hängt aber auch noch von vielen anderen Faktoren ab. Ob durch Fliegenpilze auch Halluzinationen entstehen können, ist in der Literatur tatsächlich umstritten.

Die Vergiftungssymptome enden üblicherweise nach etwa 8 Stunden mit einer vollständigen Erholung. Damit ist eine Vergiftung mit Fliegenpilzen im Normalfall auch nicht tödlich. Interessant ist aber auf jeden Fall, dass es wohl einen Zusammenhang zwischen der Symptomatik und dem Zeitpunkt des Pflückens geben könnte. Es gibt Hinweise, dass Pilze, die im August gepflückt werde, eine stärker narkotische Wirkung haben, während Pilze aus dem September schlimmere Übelkeit verursachen.

Ibotensäure und Muscimol ahmen körpereigene Botenstoffe nach

Jetzt stellt sich aber natürlich die Frage, weshalb der Fliegenpilz giftig ist. Ja klar, er enthält Ibotensäure und Muscimol. Aber wie verursachen zwei so simple Moleküle diese Symptome?

Ibotensäure und Muscimol können quasi körpereigene Botenstoffe nachahmen. Sie binden an die gleichen Rezeptoren, und lösen damit die gleichen Effekte aus. Da es für den Körper damit aber aussieht, als seien plötzlich viel mehr dieser Botenstoffe vorhanden als normalerwiese, werden dadurch die normalen Körperfunktionen durcheinander gebracht.

Muscimol ähnelt dabei sehr dem Neurotransmitter GABA (das steht für γ-Hydroxybuttersäure). Ibotensäure hingegen gleicht der Aminosäure Glutamat, die auch als Neurotransmitter eine Rolle spielt. Neurotransmitter sind Botenstoffe, die Signale von einer Nervenzelle zur nächsten  weiterleiten (oder zu einer Muskelzelle, oder diversen anderen Zellen, ihr wisst schon…).

Wie ahmen die Giftstoffe jetzt körpereigene Botenstoffe nach? Durch etwas, das sich Bio-Isosterie nennt. Das ist ein kompliziertes Wort für ein eigentlich gar nicht so kompliziertes Konzept. Es geht dabei darum, dass eigentlich sehr unterschiedliche chemische Strukturen ähnliche Eigenschaften besitzen können. Vor allem sind das sterische Eigenschaften, also quasi die Größe und Form der Struktur, und elektronische Eigenschaften, also die Ladung und die „Anordnung“ der Elektronen. Wenn diese Bedingungen zutreffen, können sich die unterschiedlichen chemischen Strukturen sehr ähnlich verhalten und die gleiche biologische Wirkung auslösen. Im Fall des Fliegenpilzgifts ist es vor allem der oben schon erwähnte Isoxazolring, der bio-isoster zu der Carbonsäure der Neurotransmitter ist.

Die Ähnlichkeit von Muscimol und GABA, verdeutlicht durch die Überlagerung der beiden Strukturformeln

Und jetzt nach all der Chemie noch ein kleiner Fun Fact: Weil Glutamat-Rezeptoren auch auf der Zunge vorkommen und maßgeblich an der Wahrnehmung des Geschmacks Umami beteiligt sind, hat Ibotensäure angeblich einen sehr starken Umami-Geschmack.

© 2024 PharmBlog

Theme by Anders NorenUp ↑

WordPress Cookie Notice by Real Cookie Banner