Ein Blog über die Wissenschaft hinter Arzneimitteln

Tag: Krebs

Wie die Erweiterung des genetischen Codes neue Arzneimittel ermöglicht

Eine der grundlegendsten Eigenschaften des Lebens auf der Erde ist der genetische Code. Egal bei welchem Lebewesen, wie der Bauplan von Proteinen auf der DNA als Erbinformation gespeichert wird, unterscheidet sich prinzipiell nicht. Trotzdem können wir den genetischen Code verändern und erweitern, und so maßgeschneiderte Proteine herstellen, die es in der Natur so nie geben könnte. Die Erweiterung des genetischen Codes kann uns helfen, nicht nur die Biologie besser zu verstehen, sondern auch effektivere Arzneimittel und Impfstoffe zu entwickeln.

Der Bauplan für Proteine

Bevor wir uns aber mit der Erweiterung des genetischen Codes beschäftigen können, sollten wir allerdings zuerst klären, worum es sich bei dem genetischen Code überhaupt handelt.

Unsere Erbinformation ist auf der DNA codiert, als Abfolge von vier möglichen Bausteinen: den Basen Adenin (A), Guanin (G), Thymin (T) und Cytosin (C). Exakter wäre es zwar, von den entsprechenden Nukleotiden zu sprechen, aber wir bleiben hier bei den Basen. Die Abfolge der Basen stellt einen Bauplan für Proteine dar, die diesem Plan folgend hergestellt werden. Dementsprechend müssen immer bestimmte Kombinationen von Basen für die Bausteine der Proteine, die Aminosäuren, stehen.

Tatsächlich codieren immer drei aufeinanderfolgende Basen – ein sogenanntes Codon – für eine Aminosäure. So können dann die 64 möglichen Codons in die 20 proteinogenen Aminosäuren übersetzt werden; immer zwei oder vier verschiedene Codons stehen für eine Aminosäure. Außerdem gibt es ein Codon, das die Aminosäure Methionin und gleichzeitig den Anfang eines Proteins anzeigt, sowie drei Codons, die das Ende eines Proteins bedeuten. (Die Tatsache, dass mehrere Codons für jeweils eine Aminosäure codieren, bezeichnet man übrigens als degenerierten genetischen Code.)

Die Codesonne zeigt an, welches Codon (beginnend in der Mitte; U statt T, da es sich auf die RNA bezieht) für welche Aminosäure codiert

Dieses Prinzip und die Codierung der Aminosäuren sind bis auf ganz wenige Ausnahmen bei einzelnen Aminosäuren bei allen Lebewesen identisch. Das ermöglicht uns unter anderem, menschliche Proteine und Peptide wie Insulin in Bakterien herstellen zu können, sodass wir für die Behandlung von Diabetes nicht mehr auf Schweine-Insulin angewiesen sind.

Aber wir können auch darüber hinaus gehen. Mithilfe von cleveren Tricks können wir Aminosäuren genetisch codieren, die in der Natur nicht in Proteine eingebaut werden könnten oder sogar solche, die in der Natur gar nicht vorkommen.

Unnatürliche Aminosäuren

Am häufigsten wird dazu eine Technik namens stop codon suppression verwendet. Sie hat Parallelen in der Natur, wo die Aminosäuren Pyrrolysin und Selenocystein kein eigenes Codon besitzen, sondern über die Reprogrammierung eines Stop-Codons in Proteine eingebaut werden.

Für die stop codon suppression wird in ein Gen an der Stelle ein Stopcodon eingebaut, an der im fertigen Protein die unnatürliche Aminosäure sein soll. Wird dieses Protein von einer Zelle dann hergestellt, hört es an der Stelle des eingeführten Stopcodons nicht auf sondern enthält die gewünschte Aminosäure. Allerdings muss die Zelle über zwei Dinge verfügen: einerseits die unnatürliche Aminosäure, die – wie der Name schon sagt – nicht natürlich vorkommt und deshalb von außen zugeführt werden muss. Andererseits ein sogenanntes orthogonales tRNA-/Aminoacyl-tRNA-Synthetase-Paar. Das ist zwar ein echt komplizierter Begriff, bezeichnet aber eigentlich nur die Grundausstattung, die eine Zelle braucht, um Aminosäuren zu einem Protein zusammenzufügen.

Die tRNA erkennt mit ihrem einen Ende das Codon und trägt an ihrem anderen Ende die dazu passende Aminosäure. Dazu wurde sie zuvor von der Aminoacyl-tRNA-synthetase damit beladen. Und da eine Zelle normalerweise nicht über das entsprechende Paar für die unnatürliche Aminosäure verfügt, muss auch das gentechnisch in die Zelle eingebracht werden.

Ein orthogonales Aminoacyl-tRNA-Synthetase-Paar. Die Synthetase (violett) belädt die tRNA (pink) mit der unnatürlichen Aminosäure. (erstellt mit BioRender)

So beeindruckend das ist – Zellen Proteine mit unnatürlichen Aminosäuren herstellen zu lassen – funktioniert das aber leider nicht perfekt. Einerseits kommt das gewählte Stopcodon auch in endogenen Proteinen vor, und zwar tatsächlich als Stopsignal. Daher wird meistens das seltenste der Stopcodons verwendet, TAG oder auch Amber genannt. Außerdem steht die orthogonale tRNA in Konkurrenz mit der zelleigenen Maschinerie, die Stopcodons erkennt und die Proteinexpression beendet. Diesen Konkurrenzkampf verliert die tRNA auch meistens, weshalb Proteine mit unnatürlicher Aminosäure deutlich schlechter exprimiert werden (über den Daumen gepeilt etwa 10 % des Wildtyps). Daher gibt es zum Beispiel Ansätze, Releasing-Faktoren in Zellen auszuschalten, die normalerweise die Stopsignale vermitteln. Das führt dann aber oft dazu, dass die Lebensfähigkeit der Zellen so sehr beeinträchtigt wird, dass die Ausbeute genauso stark leidet.

Außerdem funktioniert das oft nur mit überexprimierten Proteinen. Diese wurden gentechnisch in Zellen eingebracht und es werden deutlich mehr von ihnen hergestellt als von den zelleigenen Proteinen. Wie man sich vorstellen kann, birgt das allerdings das Risiko, die Biologie der Zelle ganz schön durcheinander zu bringen. Es gibt aber seit neustem beispielsweise Möglichkeiten, die Sequenz endogener Proteine auf der RNA-Ebene zu verändern und so sehr effizient unnatürliche Aminosäuren in sie einzubauen, ohne sie überexprimieren zu müssen.

Neue Chemie für Proteine

Mittels stop codon suppression können wir also unnatürliche Aminosäuren in Proteine einbauen. Aber was bringt das jetzt?

Auf der grundlegendsten Ebene geht es darum, Proteinen neue chemische Möglichkeiten zu geben. Denn die Chemie der Aminosäuren ist begrenzt – es gibt ein paar sehr unspektakuläre hydrophobe, einige hydrophile, manche sind sauer oder basisch, ein paar sind nukleophil, können oxidiert oder reduziert werden. Damit schaffen es Proteine zwar, eine unglaublich Fülle an Funktionen zu erfüllen, aber um es mal sehr plakativ zu sagen: Proteine können fast nur Chemie aus der Grundlagen-Vorlesung.

Daher nutzen wir die Erweiterung des genetischen Codes, um Proteinen neue chemische Möglichkeiten beizubringen. Damit eignen sie sich zum Beispiel deutlich besser für manche therapeutische Anwendungen. Bevor wir es darum geht, möchte ich euch aber einige andere Anwendungen des erweiterten genetischen Codes kurz vorstellen.

Erweiterung des genetischen Codes in der Forschung

Unnatürliche Aminosäuren sind wertvolle Werkzeuge in der biochemischen und molekularbiologischen Forschung.

In meinem letzten Blogpost habe ich viel darüber geschrieben, wie nützlich die Markierung von Proteinen mit Fluoreszenzproteinen ist. Unnatürliche Aminosäuren sind auch als Fluoreszenzmarker geeignet – statt aber einfach ein Protein damit zu markieren, kann der Fluoreszenzfarbstoff ganz gezielt an einzelnen Positionen des Zielproteins eingebracht werden. Das ist entweder direkt über fluoreszierende Aminosäuren möglich oder über den Einbau eines click handle. An einer solchen Aminosäure können dann direkt in der Zelle alle möglichen Moleküle befestigt werden.

Abgesehen von Fluoreszenz können Proteine über stop codon suppression auch mit anderen Markierungen versehen werden. Ein Beispiels sind sogenannte spin label für Techniken wie EPR, über die ich auch schon geschrieben habe. Außerdem können Crosslinker eingebaut werden, die ein Protein kovalent mit einem anderen Biomolekül verbinden, lichtgesteuerte Aminosäuren oder auch Nachahmungen posttranslationaler Modifikationen.

Und außerdem existiert noch die Möglichkeit des enzyme engineerings mit unnatürlichen Aminosäuren. Dabei wird die Erweiterung des genetischen Codes genutzt, um die chemischen Möglichkeiten von Enzymen zu erweitern und sie zu maßgeschneiderten Katalysatoren für bestimmte chemische Reaktionen zu machen.

Diese Anwendungen des erweiterten genetischen Codes sind eine Möglichkeit, neue oder bessere Arzneistoffe zu finden – nämlich indirekt, indem unnatürliche Aminosäuren als Werkzeuge in der Charakterisierung von Targets oder Entwicklung, Validierung und Synthese von Arzneistoffen eingesetzt werden. Aber auch der direkte Einsatz eines erweiterten genetischen Codes in Arzneimitteln ist möglich, und einige Beispiele möchte ich euch gerne vorstellen:

Antikörper und Protein-Arzneistoffe

Das derzeit wohl vielversprechendste Einsatzgebiet von unnatürlichen Aminosäuren in der Arzneitherapie sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (kurz ADC, antibody-drug-conjugates). Solche ADC werden vorwiegend für die Krebstherapie eingesetzt und erforscht, denn die sehr spezifischen Antikörper bringen die oft nebenwirkungsreichen Wirkstoffe direkt zu den Tumorzellen. Dadurch kann eine Therapie bei gegebener Dosis effektiver sein, während durch die geringeren Nebenwirkungen gleichzeitig höhere Dosen möglich sind.

Um ADC herzustellen, müssen die Antikörper und Wirkstoffe auf irgendeine Art verbunden werden. Noch werden dazu meist unspezifische Methoden verwendet, jedoch entstehen dadurch sehr heterogene ADC mit einer unterschiedlichen Anzahl von Wirkstoffmolekülen, die an unterschiedlichen Stellen an die Antikörper gebunden sind.

Antikörper-Wirkstoff-Konjugat (Bild: Bioconjugator, CC BY-SA 4.0=

Es ist aber auch möglich, die Wirkstoffe über unnatürliche Aminosäuren an die Antikörper zu binden, die mittels stop codon suppression sehr kontrolliert in die Antikörper eingebaut werden können. Während es zwar noch keine ADC mit dieser Technologie in der Klinik gibt, könnten so Antikörper-Wirkstoff-Konjugate mit größerer Effektivität, geringerer Toxizität und einigen anderen positiven Eigenschaften (vor allem solche pharmakokinetischer Art) hergestellt werden als bei den bisherigen heterogenen ADC.

Auf ähnliche Weise wie Antikörper über unnatürliche Aminosäuren mit Wirkstoffen verbunden werden, können auch zwei Antikörper oder Antikörper-Fragmente verknüpft werden. Dadurch erhält man bispezifische Antikörper, die an zwei Ziele binden können. Eines davon kann beispielsweise das Oberflächenprotein einer Tumorzelle sein, während das andere auf einer Immunzelle zu finden ist. Der bispezifische Antikörper bringt die Tumor- und die Immunzelle so für längere Zeit in direkte räumliche Nähe und fördert die Zerstörung der Tumorzelle durch die Immunzelle.

Abgesehen von Antikörpern werden auch andere Protein-Arzneistoffe mit unnatürlichen Aminosäuren erforscht. Eine Option sind Proteine, die spezifisch mit einer Zielstruktur – normalerweise einem anderen Protein – interagieren und deren Funktion dadurch hemmen. Für eine verlängerte Wirkdauer und ein vergrößertes therapeutisches Fenster  können diese Protein-Arzneistoffe über eine unnatürliche Aminosäure kovalent mit der Zielstruktur verbunden werden. Diese kovalente Bindung ist stärker und stabiler als normale Interaktionen zwischen zwei Molekülen, wodurch die Hemmung effektiver und länger anhaltend ist. Für die Chemie-Interessierten: Als Aminosäure werden dabei normalerweise elektrophile Moleküle verwendet, die mit nukleophilen Aminosäuren wie Cystein oder Lysin im Zielprotein reagieren.

Unnatürliche Aminosäuren in der Klinik?

Weiter therapeutische Anwendungen des erweiterten genetischen Codes möchte ich nur kurz anreißen. Dazu gehört eine bessere Regulierung von CAR-T-Zellen – genetisch veränderte Immunzellen in der Krebstherapie, über dich ich hier auch schon geschrieben habe, verbesserte Impfstoffe, bei denen Aminosäuren verwendet werden, die eine stärkere Immunreaktion hervorrufen oder auch mögliche Gentherapien in vivo, die aber noch weit in der Zukunft liegen.

Ganz allgemein wird mit der Erweiterung des genetischen Codes für therapeutische Zwecke gerade erst begonnen. Für viele Ansätze existieren überzeugende experimentelle Belege oder auch erste Studien in Tiermodellen, aber bis Arzneistoffe mit unnatürlichen Aminosäuren standardmäßig in der Klinik zu finden sein werden, wird noch einige Zeit vergehen müssen. Ihre Bedeutung wird wahrscheinlich eher in bestimmten, eher spezialisierten Fällen zu finden sein. Es werden wohl kaum reihenweise kovalente Proteinarzneistoffe auftauchen, aber ich denke, ab und an wird die Verwendung unnatürlicher Aminosäuren eine Arzneitherapie definitiv verbessern oder erst ermöglichen können.

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Wie gut wirkt eine Behandlung – Klinische Studien verstehen, Teil 2

Nachdem wir im ersten Teil dieses Texts die Grundlagen zur Interpretation klinischer Studien wie Kontrollgruppen, Randomisierung und Verblindung abgedeckt haben, gehen wir heute einen Schritt weiter. Wir tauchen tiefer in die Bedeutung des Patientenkollektivs und die Rolle von Endpunkten ein. Warum ist es wichtig, wer an einer Studie teilnimmt? Wie beeinflussen dropouts die Aussagekraft der Ergebnisse? Und was genau sind klinische und Surrogatendpunkte?

In diesem Teil schauen wir uns an, wie man den Behandlungserfolg misst und warum das oft komplizierter ist, als es auf den ersten Blick scheint. Wir nehmen wieder die Beispielstudie „Nilotinib vs. Imatinib“ unter die Lupe und lernen dabei, worauf man achten sollte, um die Ergebnisse einer Studie korrekt einzuordnen. Am Ende dieses kleinen Leitfadens werdet ihr hoffentlich noch besser gerüstet sein, um klinische Studien kritisch und fundiert zu bewerten.

Das Patientenkollektiv und wer davon übrig bliebt

Bevor wir uns ansehen, wie der Behandlungserfolg überhaupt gemessen wird, müssen wir uns erst nochmal auf das Patientenkollektiv konzentrieren. Denn welche Teilnehmer:innen für eine Studie ausgewählt wurden hat einen großen Einfluss auf ihre Aussage.

Wie alt sind die Patient:innen, welches Geschlecht haben sie, wie weit ist ihre Erkrankung fortgeschritten, wurden sie vorher schon (unerfolgreich) behandelt, haben sie noch andere Erkrankungen? All das sind Fragen, die man stellen sollte, vor allem wenn man die Ergebnisse der Studie auf andere Patient:innen übertragen oder verallgemeinern möchte.

Außerdem lohnt es sich anzuschauen, wie viele Teilnehmer:innen bis zum Ende an der Studie teilgenommen haben. In den meisten Studien gibt es dropouts, Patient:innen, die aus welchem Grund auch immer nicht länger Teil der Studie sind. Das kann daran liegen, dass sie sich nicht an das Behandlungsschema gehalten haben und ausgeschlossen wurden, sie können zu starke Nebenwirkungen haben, sie können eine weitere Erkrankung bekommen haben, aufgrund derer sie ausgeschlossen werden mussten, oder sie können schlicht und ergreifend verstorben sein.

Wenn am Ende nur der Behandlungserfolg der Teilnehmer:innen ausgewertet wird, die bis zum Ende dabei waren, dann ignoriert das einen Teil der medizinischen Realität. Es halten sich nämlich auch „echte“ Patient:innen nicht an Behandlungspläne oder brechen eine Behandlung ab, wenn die Nebenwirkungen zu stark werden. Werden diese Fälle nicht berücksichtigt, wird wieder einmal der Behandlungserfolg überschätzt. Daher sollten Studien idealerweise eine intention-to-treat Analyse haben, bei der die Auswertung anhand aller Patient:innen erfolgt.

Unsere Beispielstudie „Nilotinib vs. Imatinib“ umfasst ursprünglich 846 Teilnehmer:innen, von denen 10 gar nicht erst behandelt wurden. Von den 836 behandelten Patient:innen haben 156 die Studie abgebrochen, meistens wegen starker Nebenwirkungen. Aber auch weil die Behandlung nicht angeschlagen hat oder die Teilnehmer:innen ihre Zustimmung widerufen haben. In der Analyse der Ergebnisse wurden zwar die 10 nicht behandelten Patient:innen nicht mit eingeschlossen, aber immerhin alle, die die Behandlung frühzeitig beendet haben.

Intention-to-treat Population von “Nilotinib vs. Imatinib”

Kurz zusammengefasst: Gerade um abschätzen zu können, für welche Menschen eine Behandlung vorteilhaft ist, lohnt sich ein Blick in das Patientenkollektiv der Studie. Und wenn man schonmal dabei ist, sollte man auch nachsehen, wie viele dropouts es gab und wie damit umgegangen wurde.

Die Bedeutung von Endpunkten bei klinischen Studien

Wenn eine klinische Studie durchgeführt wird, dann soll damit in der Regel ja gezeigt werden, wie gut die untersuchte Behandlung funktioniert. Dazu muss etwas gemessen werden, das belegt, ob die Behandlung erfolgreich war, und dieses etwas bezeichnet man als Endpunkt.

Letztendlich geht es bei den meisten Arzneimitteln darum, dass die Patient:innen durch ihre Anwendung wieder gesund werden, sich ihr Zustand nicht oder langsamer verschlechtert, sich ihr Befinden bessert usw. – das ist es, was die Patient:innen interessiert. Solche Kategorien können aber ganz schön schwierig zu messen sein, weshalb meist besser definierbare Endpunkte verwendet werden. Die vollständige Remission, also das komplette Verschwinden z.B. einer Krebserkrankung wäre ein Beispiel dafür. Ein ähnliches Beispiel ist das progressionsfreie Überleben, also Überleben ohne eine Verschlimmerung der Erkrankung. Diese beiden Endpunkte sind sogenannte klinische Endpunkte. Sie sind direkt an den Verlauf der Erkrankung geknüpft und für Patient:innen so erlebbar.

Im Gegensatz zu den klinischen Endpunkten stehen die Surrogatendpunkte. Sie sind nicht direkt für Patient:innen spürbar und dienen als Ersatz – als Surrogat – für klinische Endpunkte. Meistens sind das Biomarker, die nur mittelbar mit dem Verlauf der Erkrankung verknüpft sind. Ein solcher Biomarker ist beispielsweise das C-reaktive Protein, das bei Entzündungen in den Blutkreislauf abgegeben wird. Seine Konzentration korreliert also mit der Stärke der Entzündung und es dient deshalb als Entzündungsmarker.

Bei „Nilotinib vs. Imatinib“ wurden auch Biomarker als Surratendpunkte verwendet. Der primäre Endpunkt für die Wirksamkeit – der Endpunkt, der allein über die Wirksamkeit entscheidet – war die major molecular response nach zwölf Monaten. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine knackige Bezeichnung für „Laborparameter, die das Anschlagen der Behandlung zeigen“. Das sagt uns jetzt noch nicht so viel; um diesen Endpunkt also beurteilen zu können, müssen wir uns etwas genauer anschauen, was dafür tatsächlich gemessen wurde.

Um die major molecular response zu messen, wurde bei den Patienten die Transkription von BCR-ABL bestimmt. BCR-ABL ist ein Gen, das durch eine Mutation der Chromosomen 9 und 22 entsteht. Es codiert für das BCR-ABL-Protein, das zur unkontrollierten Vermehrung der betroffenen Zelle führt und dadurch unter anderem die chronisch myeloische Leukämie auslöst. Da BCR-ABL damit kausal für die Entstehung der Tumorzellen verantwortlich ist, ist es als Surrogatendpunkt ziemlich gut geeignet. So ein kausaler Zusammenhang ist aber nicht bei allen Surrogatendpunkten vorhanden, was einer der Hauptgründe ist, weshalb man sie mit Vorsicht behandeln sollte.

Wie viele andere Studien auch hatte „Nilotinib vs. Imatinib“ sekundäre Endpunkte. Dazu gehört unter anderem die complete cytogenetic response. Das heißt, dass (quasi) keine Tumorzellen im Knochenmark mehr vorhanden sind – ein Surrogatendpunkt, der aber direkt mit dem Verlauf der Erkrankung und dem Überleben der Patient:innen verknüpft ist. Solche sekundären Endpunkte sind nicht dazu gedacht, alleine die Wirksamkeit der neuen Therapie zu beweisen. Stattdessen sollen sie mehr Details über die untersuchte Behandlung liefern.

Signifikant – aber auch relevant?

Da wir jetzt geklärt haben, was Endpunkte sind, können wir uns dem widmen, was uns wirklich interessiert, nämlich die Ergebnisse einer Studie. Dabei geht es vor allem um drei Dinge: Wurden die Endpunkte erreicht? Ist der Effekt statistisch signifikant? Und ist er dann auch klinisch relevant?

Statistische Tests werden dazu verwendet, zufällige Schwankungen im Ergebnis von echten, durch die Behandlung ausgelösten Effekten zu unterscheiden. Ist die Wahrscheinlichkeit, dass Verumgruppe (die eine neue Behandlung bekommt) und Kontrollgruppe gleich sind – und damit die Unterschiede zwischen den Ergebnissen nur Zufall – klein genug, bezeichnet man das als statistisch signifikant.

Einen extrem großen Einfluss auf das Ergebnis hat die Anzahl der Studienteilnehmer:innen. Je weniger Teilnehmer:innen, desto größer werden die zufälligen Abweichungen sein. Daher haben Studien mit einer sehr kleinen Teilnehmer:innenzahl auch weniger Aussagekraft. Im Gegenzug kann eine große Zahl an Teilnehmer:innen dafür sorgen, dass selbst sehr kleine positive Ergebnisse trotzdem signifikant sind. Und das ist auch genau der Grund, dass man sich die Effektstärke immer genauer ansehen sollte – selbst wenn der Effekt statistisch signifikant ist.

Zusätzlich dazu, dass der Effekt der neuen Behandlung signifikant sein sollte, muss er natürlich auch tatsächlich merkbar sein. Ein Effekt, der zwar unzweifelhaft vorhanden ist, aber so klein, dass er Patinet:innen keinen wirklichen Vorteil bringt, ist kein Grund, ein neues Arzneimittel zuzulassen. Gerade weil jedes Arzneimittel auch immer das Risiko für Nebenwirkungen birgt.

Ergebnis des primären Endpunkts major molecular response in “Nilotinib vs. Imatinib”

Unsere Beispielstudie „Nilotinib vs. Imatinib“ berichtet, dass 44% der Teilnehmer:innen mit Nilotinib (300 mg) den primären Endpunkt (die major molecular response) erreichen, im Gegensatz zu 22% in der Kontrollgruppe. Und zwar mit einem p-Wert kleiner als 0,001 – was einer Wahrscheinlichkeit von 99,9% entspricht, dass der Unterschied kein Zufall ist. Das ist schonmal ziemlich gut, aber ist der Effekt auch klinisch relevant? Tja, das ist noch so ein Problem mit Surrogatendpunkten. Es ist für Laien auf dem Gebiet (und hier bin ich genauso Laie wie die meisten anderen) ziemlich schwierig abzuschätzen, was dieser Effekt für die Patient:innen tatsächlich bedeutet.

Ein kleiner Test

Damit können wir die Sache im Prinzip abschließen. Natürlich gäbe es noch so viel mehr, was wir uns anschauen können, aber als erster Überblick soll das erst einmal genügen. Und als kleiner Test können wir versuchen, „Nilotinib vs. Imatinib“ anhand der beschriebenen Kriterien einzuordnen.

Im Großen und Ganzen ist „Nilotinib vs. Imatinib“ eine solide Studie mit guter Aussagekraft. Sie erfüllt die Bedingungen, die wir an kontrollierte randomisierte Studien stellen: Es gibt eine Kontrollgruppe, mit der die neue Behandlung verglichen werden kann, und die Zuteilung in die Gruppen erfolgt zufällig. Damit sind die größten Fehlerquellen so gut es geht minimiert. Eine andere häufige Ursache für einen möglichen Bias ist allerdings nicht beseitigt, denn die Studie ist nicht verblindet. Teilnehmer:innen wissen genauso wie die behandelnden und auswertenden Personen, in welcher Gruppe sie sind. Da nachgewiesen ist, dass dieses Wissen oft zur Überschätzung des Effekts einer neuen Behandlung führt, müssen wir hier definitiv vorsichtig sein!

Die Wirksamkeit der Behandlung wird zwar anhand von Surrogatendpunkten bewertet, die prinzipiell weniger aussagekräftig sind als klinische Endpunkte. Allerdings stehen die gemessenen Endpunkte in einem direkten kausalen Zusammenhang zur Erkrankung, was trotzdem eine gute Aussagekraft ohne allzu viele Annahmen ermöglicht. In der Behandlungsgruppe erreichen doppelt so viele Patient:innen den primären Endpunkt der major molecular response. Da diese so direkt mit dem Verlauf der Erkrankung verbunden ist, können wir annehmen, dass das auch zu einer spürbaren Verbesserung für die Patient:innen führt. Die Ergebnisse wurden als intention-to-treat-Analyse ausgewertet. Damit wurden also auch alle dropouts, bei denen die Behandlung vorzeitig beendet wurde, mit in die Auswertung einbezogen.

Die Patient:innen in der Studie haben ihre CML-Diagnose maximal 6 Monate früher erhalten. Sie durften vorher fast keine andere Behandlung erhalten haben, nur eine bestimmte Schwere der Erkrankung aufweisen, keine eingeschränkte Herzfunktion haben und viele andere Arzneimittel nicht gleichzeitig einnehmen. Das schränkt natürlich ziemlich ein, und um die Ergebnisse auf eine Patient:innengruppen zu übertragen, wären strenggenommen mehr Studien nötig.

Aber mehr Studien sind sowieso nötig, denn „eine Studie ist keine Studie“, wie man so schön sagt. Die beste Aussagekraft haben eine Vielzahl an Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen (und dann z.B. in einer sogenannten Metaanalyse zusammengefasst werden).

Ich hoffe, ihr habt jetzt einige Werkzeuge zur Interpretation von klinischen Studien mehr in eurem metaphorischen Werkzeugkasten. Wenn ihr euch weiter informieren wollt, nutzt doch gerne die verlinkte Literatur hier und im ersten Teil als Ausgangspunkt. Und wenn ihr hier keinen neuen Blogpost verpassen wollt, abonniert am besten meinen Newsletter. Ansonsten empfehlt diesen kleinen Leitfaden zur Interpretation klinischer Studien auch gerne weiter.

Zelltherapie gegen Krebs: Was CAR-T-Zellen können und was sie nicht können

In den letzten Jahrzehnten hat die Medizin wirklich enorme Fortschritte gemacht, und in kaum einem anderen Bereich ist das so spürbar wie in der Krebstherapie. Tumorerkrankungen, die früher ein quasi sicheres Todesurteil darstellten, haben heute Heilungswahrscheinlichkeiten von 90% oder mehr! Möglich gemacht wurde das von einigen revolutionären Tumortherapien, die unsere Behandlungsmöglichkeiten nach und nach erweiterten. Angefangen hat in den 1940er Jahren alles mit N-Lost als erstes richtiges Zytostatikum. Richtig große Sprünge hat die Tumortherapie aber auch in den letzten Jahrzehnten gemacht, als zum Beispiel die ersten monoklonalen Antikörper aufkamen, oder mit Imatinib als der erste Tyrosinkinase-Inhibitor, der eine ganze Klasse von Wirkstoffen begründet hat. Aber hier soll es um eine der neuesten Revolutionen der Krebstherapie gehen, die CAR-T-Zellen. Und vor allem soll es darum gehen, wie die CAR-T-Zelltherapie in Zukunft noch effektiver und vielseitiger werden könnte.

Zelltherapie mit chimären Rezeptoren

Bei CAR-T-Zellen handelt es sich um den Wirkstoff (ja, auch ganze Zellen können ein Wirkstoff sein!) einer Zelltherapie zur Behandlung verschiedener Krebserkrankungen. Und das Prinzip dahinter ist so simpel wie genial: denn die CAR-T-Zelltherapie ermöglicht es unserem Immunsystem, Tumorzellen zu erkennen und zu töten. Dazu werden Patient:innen eine Art von Immunzellen – die T-Lymphozyten – entnommen, die dann gentechnisch modifiziert werden. Mithilfe eines viralen Vektors wird ein Gen in die Zellen eingeschleust, das für einen chimären Antigenrezeptor codiert (= CAR). Dafür werden z.B. Lentiviren verwendet, die häufig zur Transduktion (= Gentransfer durch Viren) von Säugerzellen eingesetzt werden. Das Gen wird in das Erbmaterial der T-Zellen eingebaut, die den chimären Antigenrezeptor daraufhin stabil exprimieren. Es ist dieser chimäre Rezeptor, der es den CAR-T-Zellen ermöglicht, Tumorzellen zu erkennen. Aber wieso? Wie schafft er es, den Zellen diese Fähigkeit zu verleihen?

Übersicht über den Ablauf der CAR-T-Zelltherapie (Bild: Michels, A. et al. 2020, DOI 10.1007/s00103-020-03222-8, CC BY 4.0)

Zusammengepuzzelte CARs

Manche Krebsarten exprimieren vermehrt bestimmte Antigene. Das bedeutet, dass von einer oder mehreren Arten von Proteinen mehr gebildet wird und diese dann auch auf der Oberfläche der Krebszellen sichtbar sind. CARs werden so entworfen, dass sie genau diese Antigene erkennen können. Häufig ist der Bereich der CARs, der dafür zuständig ist, an der Antigen-bindenden Struktur von Antikörpern orientiert. An dieser Antigen-bindenden Domäne hängt ein Linker, der sie mit einer Transmembrandomäne verbindet. Diese liegt (wie der Name vermuten lässt) innerhalb der Membran der CAR-T-Zellen. Sie leitet das Signal, dass der Rezeptor ein Tumor-Antigen gebunden hat, in das Innere der Zelle weiter. Die Transmembrandomäne stammt normalerweise aus einem von mehreren natürlich vorkommenden Proteinen aus Immunzellen (u.a. CD28 oder CD3).

Modell eines CARs (pink und orange) in der Memran (grau) zusammen mit dem Signalprotein ZAP70 (blau) (Bild: PDB-101, D. Goodsell, http://doi.org/10.2210/rcsb_pdb/mom_2017_10)

Im Inneren der Zelle angekommen folgt dann „nur“ noch die Signaldomäne. Sie ist der am ausführlichsten untersuchte Teil der CARs. Sie besteht ebenfalls aus einem Teil des CD3-Antigens, das aus „normalen“ T-Zellen stammt. Die Aktivierung des CARs führt dazu, dass einige Tyrosin-Aminosäuren der Signaldomäne phosphoryliert, also chemisch mit einer Phosphatgruppe verknüpft werden. Phosphorylierungen fungieren in der Biologie häufig als Signalweiterleitung. So auch hier, denn die Phosphorylierung der Signaldomäne aktiviert die T-Zelle, die daraufhin die von ihr erkannte Tumorzelle abtötet. Das allein reicht aber oft nicht aus. Deshalb wurden in der „zweiten Generation“ von CARs co-stimulierende Domänen hinzugefügt. Diese stammen ebenfalls aus Immunzellen und haben dort im Prinzip die gleiche Aufgabe. Sie verstärken das Signal zur Aktivierung von T-Zellen, aber mit dem kleinen Unterschied, dass in natürlichen T-Zellen der T-Zell-Rezeptor und der Co-Stimulator zwei getrennte Proteine sind.

Antigene erkennen ohne Brimborium

Ein chimärer Antigenrezeptor besteht also aus vielen unterschiedlichen Immunzell-Proteinen, die „einfach“ zu einem Rezeptor kombiniert wurden. Aber wieso das Ganze, wenn auch natürlich vorkommende Immunzellen die einzelnen Proteine besitzen? Um das zu verstehen, müssen wir uns erstmal anschauen, wie T-Zellen normalerweise aktiviert werden:

Zuerst ein kleiner Disclaimer: Es gibt diverse unterschiedliche Arten von T-Zellen, und nur eine davon, die zytotoxischen T-Zellen (die auch so schön poetisch T-Killerzellen genannt werden) tötet wirklich von ihr erkannte infizierte oder maligne Zellen ab. Die anderen sind dafür zuständig, Signalmoleküle auszuschütten, die Immunantwort zu regulieren oder ein immunologisches Gedächtnis zu bilden. Behaltet also einfach im Hinterkopf, dass „Die T-Zelle tötet die erkannte Zelle ab“ eine starke Vereinfachung ist.

Aber wie funktioniert dieses Erkennen und Abtöten jetzt? Zu diesem Zweck haben die T-Zellen den T-Zell-Rezeptor (der – wie das meiste in der Immunologie – ganz schön kompliziert aufgebaut ist). Mit diesem Rezeptor können die T-Zellen Antigene erkennen. In diesem Fall sind das Bestandteile von infizierten oder entarteten Zellen. Der T-Zell-Rezeptor kann diese Antigene aber nicht einfach so erkennen, nein, sie müssen ihm stattdessen von der anderen Zelle präsentiert werden. Dafür gibt es spezielle Proteine, die MHC-I heißen. Mit deren Hilfe präsentieren Zellen Schnipsel von quasi allen Proteinen, die sich in ihrem Inneren befinden. Bindet jetzt der T-Zell-Rezeptor ein Antigen auf einem MHC-I-Komplex, dann kommen die oben schon erwähnten Co-Stimulatoren ins Spiel. Diese müssen auch noch ihre entsprechenden Gegenstücke auf der Antigen-präsentierenden Zelle binden. Und wenn das der Fall ist, dann weiß die T-Zelle, dass es sich bei der Antigen-präsentierenden Zelle z.B. um eine Tumorzelle handelt und tötet sie ab. (Oder entfaltet eine der anderen möglichen Effekte von T-Zellen).

Das Schöne an CAR-T-Zellen ist, dass sie dieses ganze Brimborium mit MHC-I und Co-Stimulatoren nicht brauchen. Sie können Antigene dank der CARs auch einfach so erkennen. Das ist auch gut so, denn manche Krebszellen verzichten einfach darauf, ihre Antigene mit MHC-I zu präsentieren und können deshalb nicht vom Immunsystem erkannt werden (das ganze nennt sich Immunevasion). Die CAR-T-Zellen ermöglichen es dem Immunsystem aber wieder, diese Tumorzellen trotzdem zu erkennen und zu bekämpfen.

Künstlerische Darstellung einer CAR-T-Zelle (blau), die mit ihren CARs (rot) eine Leukämiezelle (grün) erkennt und attackiert (Bild: PDB-101, D. Goodsell, http://doi.org/10.2210/rcsb_pdb/mom_2017_10)

Was CAR-T-Zellen können und was sie nicht können

Aktuell sind sechs CAR-T-Zelltherapien in der EU zugelassen. Sie erkennen eines der beiden Proteine CD19 und BCMA, die in B-Lymphozyten vorkommen. Daher werden diese CAR-T-Zelltherapien auch bei Tumorerkrankungen von B-Lymphozyten wie beispielsweise der akuten lymphatischen Leukämie eingesetzt. Diese Behandlungen sind zwar extrem teuer – mehrere hunderttausend Euro – aber auch oft die letzte Hoffnung für Patient:innen. Und tatsächlich erreichen die CAR-T-Zelltherapien zum Teil sehr beeindruckende Heilungsraten.

Aber wieso werden CAR-T-Zellen dann nicht für viel mehr Arten von Krebserkrankungen verwendet? Die CAR-T-Zelltherapie bringt auch einige Schwierigkeiten mit sich. Einerseits können die CAR-T-Zellen sehr drastische Nebenwirkungen und toxische Effekte haben. Eine der Nebenwirkungen, das manchmal sogar lebensbedrohliche Zytokin-Freisetzungssyndrom, entsteht vermutlich, weil die CAR-T-Zellen “zu gut” sind. Denn weil auf einmal massenhaft Tumorzellen absterben, werden sehr viele Botenstoffe freigesetzt, die beispielsweise Fieber und Atembeschwerden auslösen können.

Außerdem ist die Verwendung von CAR-T-Zellen bei soliden Tumoren eine besondere Herausforderung. Denn einerseits müssen die CAR-T-Zellen erstmal einen Weg finden, in diese Tumore eindringen zu können. Andererseits schaffen Tumore sich oft eine Umgebung, in der Immunreaktionen unterdrückt werden. Zudem sind die Antigene aus soliden Tumoren viel häufiger auch in gesunden Zellen vorhanden, so dass es zu on-target off-tumor Effekten kommen kann, bei denen die CAR-T-Zellen gesundes Gewebe angreifen.

Allogene und ausschaltbare CAR-T-Zellen

Welche Möglichkeiten gibt es, diese Probleme zu lösen? Eine mögliche Lösung für die hohen Kosten könnten sogenannte allogene CAR-T-Zellen sein. Denn bisherige CAR-T-Zelltherapeutika werden aus den eigenen Zellen von Patient:innen hergestellt. Daher ist das jedes Mal ein individueller Prozess. Die Zellen von externen Spender:innen zu verwendet würde es ermöglichen, CAR-T-Zellen schon im Voraus in größeren Mengen herzustellen. Außerdem wären sie dadurch sofort einsatzbereit, anstatt erst nach der individuellen Herstellung, während der die Erkrankung weiter fortschreiten kann. Allerdings müssen dafür neue Probleme gelöst werden. Denn die fremden T-Zellen könnten zu einer Graft-versus-Host-Reaktion führen, also einer zytotoxischen Reaktion auf die allogenen Zellen. Außerdem werden die allogenen CAR-T-Zellen schneller durch das Immunsystem von Patient:innen beseitigt.

Um das Problem der Toxizität zu lösen, können Veränderungen am CAR selbst vorgenommen werden. Die co-stimulierende Domäne hat zum Beispiel einen großen Einfluss auf die Entstehung des Zytokin-Freisetzungssyndrom. Und tatsächlich könnte es auch helfen, die Affinität des Rezeptors für das Antigen zu verringern. Das vermindert zwar etwas die Wirksamkeit, aber vor allem attackieren die CAR-T-Zellen dadurch kaum noch gesundes Gewebe, sondern nur noch Tumorzellen.

Eine sehr spannende Möglichkeit sind ausschaltbare CAR-T-Zellen. Sie können durch die Gabe eines anderen Stoffs ausgeschaltet werden, sobald zu starke Nebenwirkungen auftreten. Das hat allerdings den Nachteil, dass dann keine CAR-T-Zellen mehr vorhanden sind, um die ursprüngliche Erkrankung zu bekämpfen. Daher wären CAR-T-Zellen am besten, die reversibel ausgeschaltet werden können. Eine Möglichkeit dafür, die schon untersucht wurde, ist der Tyrosinkinasehemmer Dasatinib. Es verhindert, dass die CAR-T-Zellen aktiviert werden können. Sobald es allerdings nicht mehr gegeben wird, sind die Zellen wieder aktivierbar und einsatzbereit.

Fazit

Das war jetzt ein ziemlich langer Text, aber über CAR-T-Zelltherapie gibt es auch einfach viel zu sagen. Das Konzept ist super spannend, und die Möglichkeit, Immunzellen so zu verändern, dass sie gegen Tumorzellen vorgehen, ist ein enormer Erfolg in der Krebstherapie.

Trotzdem müssen wir Wege finden, um das Konzept breiter anwenden zu können, gerade für solide Tumore. Auch dafür existieren tatsächlich schon Ideen (z.B. probiotic-guided CAR-T-Zellen), wie auch für viele andere Möglichkeiten, die Hürden zu einer breiteren Anwendung zu überwinden. Die Forschung an CAR-T-Zellen geht auf jeden Fall weiter, und wir werden abwarten müssen, ob und welche weiteren CAR-T-Zelltherapeutika ihren Weg in die Klinik finden.

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Biomolekül des Monats: Der Tumorsuppressor p53

Ob lange Stränge aus DNA, riesige Proteine aus hunderten Aminosäuren oder kleine Moleküle aus wenigen Atomen: Biomoleküle haben unendlich viele faszinierende Aufgaben, um unsere Körper am Laufen zu halten. Daher stelle ich hier jeden Monat eines davon und seine Besonderheiten vor.

Krebserkrankungen sind meistens sehr komplex, jedoch haben sie alle eine gemeinsame Ursache: Veränderungen im Erbgut einer Zelle, der DNA. Solche Mutationen sind tatsächlich sehr häufig und können durch viele Faktoren ausgelöst werden. Aber glücklicherweise führen nicht alle Mutationen auch zur Entstehung von Tumoren. Denn unsere Zellen besitzen Schutzmechanismen, um genau das zu verhindern. Einer der wichtigsten ist ein Protein mit dem unscheinbaren Namen p53, das ich euch hier vorstellen möchte.

p53-Tetramer gebunden an DNA (Richard Wheeler (Zephyris) CC BY-SA 3.0)

p53 ist ein sogenannter Transkriptionsfaktor. Das sind Proteine, die die Übersetzung von DNA in mRNA regulieren. Letztendlich verhindern oder verstärken sie damit die Expression von bestimmten Proteinen.

Wenn die DNA beschädigt wird führt das dazu, dass sich p53 in der Zelle anreichert. Dadurch kann es dann seine Wirkung als Transkriptionsfaktor entfalten. Dazu gehört, dass p53 den Zellzyklus stoppt. Diesen Zyklus durchlaufen Zellen, bevor sie sich teilen können. Mit dem Stopp verhindert p53 also eine Vermehrung von Zellen mit kaputter DNA.

Das war aber noch nicht alles. Denn wenn sich sehr viel p53 angereichert hat, aktiviert es außerdem Proteine namens Bax. Bax leitet dann die Apoptose ein (bzw. verhindert Bax die Hemmung der Apoptose). Als Apoptose bezeichnet man den programmierten Zelltod, und damit wird letztendlich verhindert, dass sich aus einer Zelle mit irreparablen DNA-Schäden ein Tumor entwickelt.

Wie viele andere Prozesse in der Biologie auch ist die Einleitung der Apoptose ein ziemlich komplexer Signalweg, mit einer Reihe von Proteinen, die einander aktivieren (In kurz: p53 aktiviert Bax, dadurch wird Cytochrom c aus Mitochondrien freigesetzt, das zusammen mit APAF-1 die Caspase-9 aktiviert, die wiederum andere Caspasen aktiviert, die die Apoptose auslösen). Einerseits ist das natürlich gut, damit eine Zelle nicht einfach „ausversehen“ in den programmierten Zelltod geht. Andererseits erfüllen solche Signalkaskaden aber auch die wichtige Aufgabe, das Signal zu verstärken. Denn selbst wenn anfänglich nur wenig Bax aktiviert wird, aktiviert jeder Zwischenschritt dieser Reihe mehrere Proteine des nächsten Schritts, wodurch am Ende der Kaskade deutlich mehr aktivierte Proteine stehen.

Diese beiden Funktionen von p53, Zellzyklus-Arrest und Apoptose, spielen eine sehr wichtige Rolle bei der Verhinderung von Krebserkrankungen. Deshalb wird p53 auch als Tumorsuppressor bezeichnet, also als ein Tumor-unterdrückendes Protein. Im Gegenzug führt eine Mutation in dem Gen, in dem der Bauplan für p53 codiert ist (das TP53-Gen) aber auch dazu, dass die Entwicklung von Tumoren deutlich wahrscheinlicher wird, weil diese Schutzfunktion fehlt. Tatsächlich ist das oft eine Mit-Ursache für Krebs, und in etwa der Hälfte der Tumore ist das TP53-Gen mutiert.

Und einen kleinen Abstecher in die Pharmazie können wir an dieser Stelle auch noch machen: Wenn p53 in einer Krebszelle noch funktionsfähig ist, kann es ein starker Mitstreiter bei der Bekämpfung der Krebserkrankung sein. Denn viele Cytostatika wirken, indem sie die DNA von Krebszellen schädigen. Dadurch wird dann p53 aktiviert und führt zum Tod der Krebszelle. Allerdings bedeutet das auch, dass sich Krebserkrankungen, bei denen p53 mutiert ist, mit diesen Cytostatika weniger gut behandeln lassen.

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