CRISPR-basierte Therapien, Teil 1: Exa-cel

Vor kurzem wurde in den USA und Großbritannien die erste auf CRISPR basierende Gentherapie überhaupt zugelassen. Seit seiner Entdeckung hat das CRISPR/Cas9-System der Biomedizin viele neue Möglichkeiten verschafft. So ist es schon lange ein selbstverständlicher Teil der Grundlagenforschung und hat seinen Entdeckerinnen einen mehr als verdienten Nobelpreis eingebracht. Und fast ebenso lange wird über das Potential für die Behandlung von Krankheiten gesprochen, das CRISPR besitzt.

Jetzt, da die erste auf CRISPR basierende Therapie – die übrigens den Namen Exa-cel trägt – zugelassen ist, möchte ich in diesem zweiteiligen Blogbeitrag einen genaueren Blick auf die therapeutische Anwendung von CRISPR werfen. Natürlich wird es um Exa-cel gehen, aber da darüber in den letzten Wochen schon sehr viel geschrieben wurde, werden wir uns vor allem die Chancen, Schwierigkeiten und Risiken anschauen, die CRISPR-basierte Therapien generell bereithalten.

Sichelzellanämie und β-Thalassämie

Exa-xel ist eine CRISPR-basierte Gentherapie für die beiden Erbkrankheiten Sichelzellanämie und β-Thalassämie. Bei beiden Krankheiten werden von Mutationen in dem Protein Hämoglobin verursacht, das für den Sauerstofftransport in Blut verantwortlich ist. (Etwas mehr über Hämoglobin erfahrt ihr in meinem Text über Häm).

Hämoglobin besteht aus vier Proteinketten, die sich zu einem großen Protein zusammenlagern. Zwei dieser Ketten werden α-Ketten genannt, und die anderen beiden β-Ketten. Mutationen in den β-Ketten führen dazu, dass bei der β-Thalassämie die Bildung neuer Erythrozyten – die roten Blutkörperchen, die Hämoglobin beherbergen und Sauerstoff transportieren – gestört ist. Die fehlerhaften β-Ketten bei der Sichelzellanämie verursachen eine Verformung der Erythrozyten. Sie werden weniger flexibel, verklumpen und können Blutgefäße verstopfen. Dadurch entstehen starke Schmerzen, eine Vielzahl von Organen wird geschädigt und die Patient:innen haben eine reduzierte Lebenserwartung. Zusätzlich werden Erythrozyten dauerhaft zerstört, sodass die Patient:innen unter einer chronischen Anämie – „Blutarmut“ – leiden.

Struktur von humanem Deoxy-Hämoglobin aus zwei alpha-Ketten (grün und orange) und zwei beta-Ketten (pink und violett). (PDB 1A3N)

Beide Erkrankungen werden bisher hauptsächlich mit einer Kombination aus Bluttransfusionen und medikamentöser Therapie behandelt. Keine der bisherigen Therapieoptionen kann tatsächlich die Ursache, die Bildung des mutierten Hämoglobins, bekämpfen.

Exagamglogen autotemcel, wie der der übertrieben umständliche, vollständige Name von Exa-cel lautet, ist die erste Möglichkeit, diese Krankheiten auch (auf eine gewisse Art) ursächlich zu bekämpfen.

Exa-cel

Die Therapie bedient sich dabei quasi eines Tricks. Denn Menschen besitzen nicht nur eine Form von Hämoglobin, sondern zwei. Ungeborene Kinder bilden ein anderes, das fetale Hämoglobin, das statt aus zwei α- und β-Ketten aus zwei α- und γ-Ketten besteht. In den ersten Lebensmonaten wird die Synthese des fetalen Hämoglobins allerdings ab- und die des „normalen“ Hämoglobins angeschaltet.

Weil das fetale Hämoglobin nicht aus β-Ketten besteht, funktioniert es auch ohne Probleme, wenn die schädlichen Mutationen im Gen für die β-Ketten vorliegen. Daher beginnen die Symptome bei Babys mit β-Thalassämie bzw. Sichelzellanämie erst nach einiger Zeit, nämlich wenn sie kein fetales Hämoglobin mehr bilden.

Die Idee hinter Exa-cel ist, die Synthese des fetalen Hämoglobins, das unabhängig von den Mutationen der β-Kette funktioniert, wieder zu aktivieren. Dazu werden den Patient:innen hämatopoetische Stammzellen entnommen, aus denen sich unter anderem die Erythrozyten entwickeln. Die Stammzellen werden mittels CRISPR/Cas9 – dazu gleich mehr – genetisch modifiziert.

Und zwar wird die Synthese des fetalen Hämoglobins normalerweise von dem Transkriptionsfaktor BCL11A – einem DNA-bindenden Protein – unterdrückt. Die Bildung dieses unterdrückenden Transkriptionsfaktors ist abhängig von einem DNA-Abschnitt, der als Enhancer bezeichnet wird. Enhancer sind Abschnitte im Genom von Eukaryoten, die häufig nötig sind, damit ein bestimmtes Gen exprimiert werden kann. Und dieser BCL11A-spezfische Enhancer ist nötig, damit der Transkriptionsfaktor, der die Synthese des fetalen Hämoglobins unterdrückt, gebildet werden kann. In den Enhancer wird jetzt eine Mutation eingeführt, die dafür sorgt, dass er nicht mehr funktioniert. Das wiederum bedeutet, dass es keinen unterdrückenden Transkriptionsfaktor BCL11A mehr gibt, und das heißt dann, dass der Bildung von fetalem Hämoglobin nichts mehr im Weg steht. (Diese Strategie wurde übrigens in diesem Paper von 2015 erstmals beschrieben.)

Die modifizierten Stammzellen werden den Patient:innen wieder zugeführt. Dort differenzieren sie sich (unter anderem) zu Erythrozyten, die jetzt dauerhaft funktionierendes fetales Hämoglobin besitzen.

Übersicht über das Hämoglobin der beiden Patient:innen in der ersten klinischen Studie zu Exa-cel. Nach Infusion von Exa-cel (CTX001) steigt der Anteil an fetalem Hämoglobin (blau) deutlich. (Quelle: Frangoul et al. 2021, DOI 10.1056/NEJMoa2031054)

2020 wurden erste Ergebnisse einer klinischen Studie an zwei Patientinnen veröffentlicht, und 2022 wurden weitere Studienergebnisse an 75 Patient:innen bei einem Kongress vorgestellt. Die Therapie weist zwar auch einige schwerwiegende Nebenwirkungen auf, führt aber zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome, macht Bluttransfusionen überflüssig und ist – über den Untersuchungszeitraum – dauerhaft anhaltend.

Dieses Jahr wurde dann bekannt, dass Exa-cel als Therapie für Sichelzellanämie und β-Thalassämie sowohl in Großbritannien als auch den USA zugelassen wird.

CRISPR/Cas9

„Die Stammzellen werden mittels CRISPR/Cas9 genetisch modifiziert“, habe ich oben geschrieben. Das ist ja schön und gut, und davon haben wir ja wahrscheinlich alle schonmal gehört. Aber wie genau funktioniert das?

Das CRISPR/Cas9-System stammt ursprünglich aus Bakterien und Archaeen. Dort fungiert es als eine Art Immunsystem gegen den Angriff von Phagen – Viren, die Bakterien und Archaeen befallen. Denn was tun diese Phagen? Sie schleusen ihr eigenes Erbgut in die Bakterien und Archaeen ein. Daher brauchen diese eine Möglichkeit, fremde DNA zu zerstören: CRISPR/Cas9 (und viele weitere).

Das CRISPR/Cas9-System besteht aus drei Teilen: Ein RNA-Strang, der eine bestimmte DNA-Sequenz binden kann: die crRNA. Ein RNA-Strang, der an die crRNA bindet und eine bestimmte dreidimensionale Struktur, eine Haarnadelschleife formt: die tracrRNA. Und ein Enzym, das den Komplex aus crRNA und tracrRNA bindet: Cas9. Cas9 ist eine Endonuklease, also ein Enzym, das DNA-Stränge durchtrennen kann. Zusammen bindet dieser Komplex an eine bestimmte DNA-Sequenz und schneidet die DNA dort.

Doppelstrangbruch durch Cas9 in einer Zielsequenz, an die guide RNA / crRNA gebunden hat. (Bild: marius walter, CC BY-SA 4.0)

Das CRISPR/Cas9-System ist so extrem nützlich, weil man die DNA-bindende Sequenz der crRNA quasi beliebig ändern kann. Dadurch kann ein DNA-Strang an einer gewünschten Stelle gezielt geschnitten werden.

Wie immer gilt auch hier der der Disclaimer: in Realität ist das Ganze ein wenig komplizierter. Zum Beispiel gibt es verschiedene Cas-Proteine mit unterschiedlichen Eigenschaften, die zu schneidende DNA muss bestimmte Motive beinhalten und praktisch wird auch oft eine fusionierte Variante aus crRNA und tracrRNA, die single guide oder sgRNA, verwendet.

Wenn der DNA-Strang dann jedenfalls geschnitten ist, wird er auch wieder repariert. Bei dieser Reparatur wird der DNA-Strang aber oft nicht wieder korrekt zusammengefügt. Stattdessen werden in einem Prozess, der non-homologous end joining heißt, einige Nukleotide – die Bausteine der DNA – entfernt oder eingefügt. Solche indel-Mutationen (insertion und deletion) machen den geschnittenen DNA-Abschnitt oft funktionsunfähig, und tadaa, schon haben wir einen DNA-Abschnitt abgeschaltet.

Es ist auch außerdem möglich, mit dem CRISPR/Cas9-System gezielt DNA-Abschnitte an der Schnittstelle einzufügen, doch das ist nochmal eine etwas andere Geschichte.

Wo ist dabei der Haken?

Wenn das CRISPR/Cas9-System ein so tolles Werkzeug ist, warum behandeln wir dann noch nicht alle möglichen Krankheiten damit?

Darum wird es in Teil zwei dieses Textes gehen, der demnächst erscheinen wird. Darin werden wir uns dann anschauen, welche Probleme noch überwunden werden müssen, um CRISPR wirklich als effektive und massentaugliche Therapie nutzen zu können.

Wenn ihr das nicht verpassen wollt, dann abonniert doch am besten meinen Newsletter, dann werdet ihr direkt über neue Blogbeiträge informiert.

Ein Kommentar

  1. Pingback:CRISPR-basierte Therapien, Teil 2: Ihre Probleme und ihr Potential - PharmBlog

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert