Den Nobelpreis für Chemie 2024 erhalten David Baker, Demis Hassabis und John Jumper für ihre Entwicklungen im Bereich Protein-Design und Proteinstrukturvorhersage. Deshalb werden wir hier näher betrachten, wieso die Struktur von Proteinen so wichtig ist und was es bedeutet, sie nach eigenem Willen gestalten oder vorhersagen zu können.
Die dreidimensionale Struktur von Proteinen
Über die große Bedeutung der dreidimensionalen Struktur von Proteinen habe ich hier auf diesem Blog schon mehrfach geschrieben. Und das nicht ohne Grund, denn die Struktur eines Proteins bestimmt dessen Funktion.
Auf der rudimentärsten Ebene sind Proteine nur aneinandergereihte Aminosäuren. Als lineare Kette ohne jegliche Struktur könnten sie aber keine ihrer vielfältigen Aufgaben erfüllen: Katalyse von biochemischen Reaktionen, Signalübertragung, Transport… Erst die richtige Faltung der Proteine bringt die richtigen Aminosäuren mit der passenden Reaktivität zu ihrem jeweiligen Platz. Nur mit der richtigen dreidimensionalen Struktur funktioniert ein Protein. Und diese zu kennen kann entscheidend sein, um die Biologie zu verstehen, die Entstehung von Krankheiten nachvollziehen zu können oder neue Arzneimittel zu entwickeln.
Komplett neue Proteine
George Baker hat mit seinen Kolleg:innen und Teammitgliedern eine Methode entwickelt, um neue Proteine von Grund auf designen zu können. Sie hatten also eine bestimmte Struktur als Ziel und berechneten am Computer die Aminosäuresequenz, die das entsprechende Protein haben müsste.
Ihr Ziel-Protein war ein Protein, das aus zwei verschiedenen Arten von Strukturelementen bestand. Diese alpha-Helices und beta-Faltblätter genannten Elemente sind relativ stabil in ihrer Faltung und nehmen eine gut definierte Konformation (so wird die räumliche Anordnung von Proteinen und anderen Molekülen genannt) ein. Für das Design eines neuen Proteins also ideale Bedingungen. Und tatsächlich gelang es ihnen! Das neue Protein hatte genau die Struktur, die sie beabsichtigt hatten.
Und bei dem einen de novo-designten Protein blieb es natürlich nicht. Baker und sein Team haben zeigen können, dass sie verschiedenste Strukturen von Grund auf neu designen können. Außerdem war es sogar möglich, neue Enzyme auf diese Weise zu entwickeln, also Proteine mit katalytischer Aktivität, die chemische Reaktionen ermöglichen. Diese Enzyme reichen allerdings noch lange nicht an die natürlichen, evolutionär entstandenen Enzyme heran.
Das Programm, dass all das ermöglichte, nennt sich Rosetta. Neben dem bekannteren AlphaFold – das wir uns gleich noch genauer anschauen werden – ist Rosetta eines der wichtigsten bioinformatischen Werkzeugen der Protein-Biochemie. Neben dem Design neuer Proteine kann es noch für andere Aufgaben eingesetzt werden, unter anderem auch die Vorhersage der Struktur von Proteinen.
Akkurate Strukturvorhersage
Und die Strukturvorhersage ist auch schon das Stichwort, um zu der anderen Hälfte dieses Chemie-Nobelpreises zu kommen. Damit wurden Demis Hassabis und John Jumper ausgezeichnet. Sie waren maßgeblich an der Entwicklung von AlphaFold beteiligt, einem KI-Werkzeug zur Vorhersage von Proteinstrukturen basierend allein auf ihrer Aminosäuresequenz. Während Hassabis schon die Entwicklung von AlphaFold 1 geleitet hat, kam Jumper erst für AlphaFold 2 hinzu. Allerdings wurde AlphaFold für die zweite Version noch einmal grundlegend verändert, was auch zu einer beeindruckenden Verbesserung seiner Vorhersagen geführt hat.
Die Struktur eines Proteins vorherzusagen ist aufgrund der extrem großen Anzahl möglicher Konformationen keine einfache Aufgabe. Es gab auch Ansätze, den kompletten Faltungsprozess eines Proteins zu simulieren, was aber aufgrund der benötigten Rechenleistung nur sehr begrenzt möglich ist.
AlphaFold hingegen basiert auf einem neuronalen Netz, das mit einer Unmenge von Sequenz- und Strukturdaten trainiert wurde. Es kann die Struktur eines Proteins a priori vorhersagen, nur aus der Abfolge der Aminosäuren in diesem Protein. Das tut es mit einer wirklich beeindruckenden Genauigkeit und ermöglicht uns daher, die Struktur von viel mehr Proteinen zu erkunden, als es mit experimentellen Methoden möglich wäre.
Natürlich ist auch AlphaFold nicht perfekt – über seine Limitationen habe ich in einem früheren Text schon geschrieben. Auch macht es die experimentelle Strukturbiologie auf keinen Fall überflüssig. Aber es ist ein sehr nützliches Werkzeug, und die Fähigkeit, schnell eine große Zahl von Proteinstrukturen vorhersagen zu können, ist zugegebenermaßen revolutionär.
Chemie-Nobelpreis für zwei wichtige Werkzeuge
Ich möchte diesen Text mit einer etwas persönlicheren Note beenden. Als Protein-Biochemiker ist es natürlich ein schönes Gefühl, wenn ein Nobelpreis in das Gebiet der Protein-Biochemie geht. Aber als jemand, der mit experimentellen Methoden an strukturellen Fragestellungen arbeitet, ist da auch ein etwas seltsames Gefühl dabei. Denn der große Erfolg von AlphaFold ist nur dank der extrem guten Trainigsdaten möglich, die in Jahrzehnten strukturbiologischer Arbeit experimentell gewonnen wurden (und nicht zu vergessen der Aufwand, diese Daten zu kuratieren). Diese Trainigsdaten haben AlphaFold erst ermöglicht, und ich persönlich würde das gerne mehr in der Berichterstattung erwähnt sehen.
Nichtsdestotrotz ist dieser Preis mehr als angemessen. Im Prinzip wurden mit Rosetta und AlphaFold zwei der wichtigsten bioinformatischen Werkzeuge für die Protein-Biochemie ausgezeichnet, und sie haben nicht nur in diesem Fachgebiet viele neue Erkenntnisse ermöglicht – und werden es auch in Zukunft höchstwahrscheinlich weiter tun.
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Lest doch gerne noch meinen Beitrag zum Medizin-Nobelpreis 2024 oder schaut in die Advanced Information des Chemie-Nobelpreises, falls ihr euch tiefergehend darüber informieren wollt.
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