Es gibt sehr viele unterschiedliche Methoden, um Proteine zu untersuchen. Viele davon sind biophysikalische Methoden: Dabei werden physikalische Eigenschaften ausgenutzt, um biologische Fragestellungen zu beantworten. Eine dieser biophysikalischen Techniken, die derzeit ganz schön im Trend liegt (falls man das so sagen kann) ist die EPR-Spektroskopie.

Ich musste mich für die Arbeit ein bisschen mit EPR-Spektroskopie beschäftigen, und als Nicht-Physiker bin ich gegenüber Dingen, für deren Erklärung man mehr als drei Gleichungen braucht, etwas skeptisch eingestellt. Deshalb halte ich mich an den alten Grundsatz „Du hast etwas erst dann richtig verstanden, wenn du es anderen erklären kannst“ und schreibe einen kurzen Blogbeitrag darüber. Aber keine Sorge, ich werde nicht mit Gleichungen um mich werfen (Nicht-Physiker, ihr erinnert euch), sondern wir werden uns auf einer eher konzeptuellen Ebene anschauen, was die EPR-Spektroskopie ist, was sie kann und wieso sie gerade so „gehyped“ ist.

Electron Paramagnetic Resonance

Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Wofür steht EPR? Es ist die Abkürzung für electron paramgnetic resonance, was auf Deutsch üblicherweise als Elektronenspinresonanz (ESR) übersetzt wird. Wir werden uns nachher noch genauer mit den physikalischen Grundlagen beschäftigen, daher erstmal nur so viel: Ein Protein wird in ein starkes Magnetfeld gebracht und mit Mikrowellen beschossen. Die Art und Weise, wie das Protein mit den beiden interagiert liefert dann zum Beispiel wichtige Hinweise über die Struktur des Proteins.

Aber wieso diesen ganzen Aufwand treiben, nur für „wichtige Hinweise“ über die Struktur eines Proteins? Was ist an dieser Struktur so besonders? Und außerdem gibt es doch, wie ich in der Einleitung selbst erwähnt habe, noch andere Methoden, um die Struktur von Proteinen zu untersuchen. Da wäre zum Beispiel die Röntgenkristallographie, mit der sogar Auflösungen von unter einem Angström (0,1 nm) erreicht werden können. Wieso nicht einfach diese etablierten Verfahren verwenden?

Struktur und Dynamik von Proteinen

Erst einmal so viel: die Struktur eines Proteins ist oft das, was auch seine Funktion ausmacht. Immerhin bestehen Proteine nur aus 20 verschiedenen Aminosäuren, die zu langen Ketten aneinander gereiht werden. Aber diese Ketten formen dann komplexe dreidimensionale Strukturen (auch Konformation genannt). Sie bringen die richtigen Aminosäuren an die richtige Stelle und können dadurch katalytisch aktive Zentren von Enzymen bilden, oder Gerüste, an die andere Proteine binden können, oder Carrier, die Stoffe durch Zellmembranen transportieren, oder…

Man könnte lange so weitermachen, denn die Struktur ist eben eine sehr entscheidende Eigenschaft von Proteinen. Aber Proteine sind nicht starr. Sie können sich bewegen, zwischen verschiedenen Konformationen hin und her wechseln. Zum Beispiel zwischen einer aktiven und einer inaktiven Konformation (schaut mal in meinem Text zu biased ligands, da habe ich auch ein bisschen darüber geschrieben). Und diese Bewegung ist die Dynamik von Proteinen, die für ihre Funktion genauso wichtig ist.

Die Funktion des Enzyms ATP-Synthase wird durch Konformationsänderungen ermöglicht. (Bild: PDB-101)

Viele klassische Methoden können diese Dynamik nicht abbilden. Sie zeigen starre, unbewegliche Strukturen. Die EPR-Spektroskopie ist hingegen eine Technik, mit der man diese Dynamik untersuchen kann. Und dabei spielt es dann keine Rolle, ob diese Bewegung winzig klein oder (zumindest im Proteinmaßstab) sehr groß ist.

Was gehört da dazu? Zum Beispiel geht es darum, wie Transporter funktionieren, die Kupfer-Ionen über die Zellmembran transportieren, wie dieses Review hier zeigt. Oder darum, wie Rezeptoren aktiviert werden und die entsprechenden Signalkaskaden in der Zelle auslösen. Das wiederum kann wertvoll für die Entwicklung von Arzneistoffen sein, die an diesen Rezeptoren angreifen.

Ein bisschen Physik

Die EPR-Spektroskopie kann uns also zeigen, wie Proteine funktionieren, indem sie Aufschluss über die Struktur von Proteinen und die Dynamik dieser Struktur liefert. Jetzt bleibt nur noch zu fragen: wie macht sie das?

Dafür müssen wir uns jetzt doch ein bisschen mit der Physik dahinter beschäftigen. Die Grundlage ist das Verhalten von ungepaarten Elektronen in einem Magnetfeld. In diesem Magnetfeld können die Elektronen zwei verschiedene Energiezustände einnehmen. Je stärker das Magnetfeld ist, desto größer ist auch der Unterschied zwischen den beiden Zuständen.

Das Energieniveau der beiden Zustände, die ein ungepaartes Elektron einnehmen kann. Ohne äußeres Magnetfeld sind beide Zustände energetisch gleich. Je stärker das äußere Magnetfeld ist, desto größer ist der Energieunterschied zwischen den Zuständen. (Bild: Krishnavedala, Public Domain)

Da die Natur immer den Zustand mit der niedrigsten Energie bevorzugt, werden sich die meisten der ungepaarten Elektronen in dem Zustand mit niedrigerer Energie befinden (siehe Boltzmann-Verteilung). Wenn die Elektronen jetzt mit Mikrowellen beschossen werden (elektromagnetische Strahlung mit Wellenlängen zwischen 1 mm und 30 cm, keine Küchengeräte), deren Energie genau der Energiedifferenz zwischen den beiden Zuständen entspricht, dann können die Elektronen in den höheren Energiezustand wechseln, und dabei die Mikrowellenstrahlung absorbieren.

Genau diese Absorption kann man messen. Und jetzt kommt der Clou: Sie ist abhängig von der Umgebung der ungepaarten Elektronen. Deshalb kann man daraus Rückschlüsse auf diese Umgebung und auf Veränderungen der Umgebung ziehen. Zum Beispiel eben andere Teile des Proteins, die ein ungepaartes Elektron umgeben, oder Teile eines anderen Proteins, oder auch die Zellmembran. Daraus können dann eben solche Dinge wie Konformationsänderungen von Proteinen abgeleitet werden.

(Wenn ihr die vorherigen Abschnitte schon verwirrend fandet, dann überspringt diesen hier am besten. Ich möchte hier nämlich einige Dinge präzisieren, die ich oben nur angeschnitten habe:

1.) Der Unterschied in der Besetzung der Energieniveaus ist ein statistischer Effekt. Es befinden sich mehr Elektronen im energetisch günstigeren Zustand. Es können aber Elektronen durch Abgabe von Photonen genauso nach „oben“ wechseln wie durch Absorption nach „unten“. Da sich „unten“ aber von Anfang an mehr Elektronen befinden, ergibt sich ein Nettoübergang in den höheren Energiezustand und eine Absorption der Mikrowellen.

2.) Es gibt natürlich mehr als nur einen Anwendungsmodus der EPR-Spektroskopie mit verschiedenen Möglichkeiten. Zum Beispiel gepulste EPR-Techniken, bei denen nur kurze Mikrowellenpulse benutzt werden. Damit können dann unter anderem Abstände zwischen zwei ungepaarten Elektronen gemessen werden.)

Spin-Label mit stabilen Radikalen

Mit einem allerletzten Problem müssen wir uns noch beschäftigen, bevor wir uns zurücklehnen und die EPR-Wissenschaftler:innen einfach machen lassen können. Denn wir brauchen für die EPR-Spektroskopie ja ungepaarte Elektronen. Die haben aber die blöde Eigenschaft, dass sie sehr reaktiv sind und deshalb nicht in Proteinen vorkommen.

Deshalb müssen ungepaarte Elektronen künstlich in die Proteine eingeführt werden – außer z.B. bei manchen Metalloproteinen. Wie schon gesagt, sind die meisten Radikale (so nennt man ungepaarte Elektronen auch) ziemlich reaktiv und bleiben deshalb nicht lange erhalten. Es gibt aber ein paar, die stabil genug sind, damit sie sich als sogenannte Spin-Label eignen.

Das sind meistens Nitroxide, bei denen ein Sauerstoffatom das ungepaarte Elektron trägt und an ein Stickstoffatom gebunden ist. Die Spin-Label können an spezifischen Positionen in die Proteine eingefügt werden. Das hat zusätzlich den Vorteil, dass die Lage des Spin-Labels innerhalb der Proteinstruktur frei gewählt werden kann.

Zwei Beispiele für Spin-Label: MTSL und MA-PX

Eine Möglichkeit, die Spin-Label an ein Protein zu binden ist, ist die Aminosäure Cystein. Die gewünschte Position des Proteins kann relativ einfach zu einem Cystein mutiert werden. Das Cystein (genauer das Thiol des Cysteins) kann dann mit dem Spin-Label (z.B. über eine Disulfidbrücke oder Addition an Maleimid) reagieren und dauerhaft verbunden werden.

Mit den Spin-Labeln haben wir jetzt aber alles, was wir brauchen, damit wir die Eigenschaften von Proteinen beobachten können. Die EPR-Spektroskopie nutzt das Verhalten von ungepaarten Elektronen in einem Magnetfeld. Dafür werden Spin-Label spezifisch in ein Protein eingebracht. Deren unmittelbare Umgebung beeinflusst die Ergebnisse, was wertvolle Einblicke in die Struktur und Dynamik liefert, zum Beispiel wenn ein Arzneistoff gebunden wird.

Das ist die Stärke der EPR-Spektroskopie. Sie lässt uns einen Blick auf die Struktur der Proteine werfen, während sie sich bewegen und ihrer Aufgabe nachgehen. Statt eines starren Bildes einer möglichen Konformation lassen sich die Änderungen der Konformation nachvollziehen. Dabei können sehr kleine Bewegungen gemessen werden. Außerdem lassen sich die Proteine einerseits (und typischerweise) in Lösung beobachten, aber auch in ihrer nativen Umgebung, dem Inneren einer Zelle.

Und das er dann auch schon, mein kleiner Ausflug in die Welt dieser gerade etwas gehypten biophysikalischen Methode. Wenn euch dieser Text gefallen hat, dann abonniert doch gerne meine Newsletter (am Desktop in der Seitenleiste rechts, oder mobil ganz unten).