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Tag: Botenstoffe

Die verborgenen Botenstoffe des Gehirns: Neuropeptide

Meine Biomoleküle dieses Monats sind Botenstoffe des Gehirns, die zwar sehr unterschiedlich sein können, aber trotzdem alle einen großen Einfluss auf die Kommunikation zwischen Nervenzellen haben. Sie sind an den grundlegendsten Funktionen des Körpers beteiligt und Störungen in diesem System können mitunter zur Entstehung vieler Erkrankungen führen: die Neuropeptide.

Über einhundert Neuropeptide

Was Neuropeptide genau sind, ist aber gar nicht so einfach zu beantworten. Denn im Vergleich zu anderen Signalmolekülen im Gehirn gibt es von ihnen deutlich mehr und auch deutlich unterschiedlichere. Der – sehr passend benannte – Text What Are Neuropetides? beschreibt sie so: „Ein Neuropeptid ist ein kleiner, proteinartiger Stoff, der von Nervenzellen produziert und gesteuert freigesetzt wird, und auf neuronale Strukturen wirkt“.

In diesem Satz steckt eine ganze Menge drin, aber bevor wir ihn genauer unter die Lupe nehmen, schauen wir uns gemeinsam einige Beispiele für Neuropeptide an: Da wären zum Beispiel die endogenen Opioide, die unter anderem bei der Empfindung von Schmerzen oder Stress wichtig sind, das als „Kuschelhormon“ bekannte Oxytocin, Vasopressin, das den Wasserhaushalt des Körpers und damit auch den Blutdruck steuert, oder ACTH, das den Cortisol-Spiegel im Blut reguliert. Außerdem gibt es noch  über einhundert andere Neuropeptide, die alle unterschiedlichste Funktionen übernehmen. Um zu erfahren, was diese mehr als einhundert Stoffe mit ihren verschiedenen Funktionen gemeinsam haben, müssen wir uns der obenstehenden Definition widmen.

Neuropeptid oder Hormon – oder beides?

„Kleiner, proteinartiger Stoff“ ist relativ selbsterklärend. Neuropeptide sind – offensichtlicherweise – Peptide, bestehen also wie Proteine auch aus Aminosäuren. Und klein sind sie, weil sie nur aus wenigen Aminosäuren bestehen.

Sie stammen aus Nervenzellen und werden von ihnen erst auf ein bestimmtes Signal hin freigesetzt. Und wenn sie freigesetzt wurden, binden sie wieder an Rezeptoren in der Membran einer Nervenzelle und beeinflussen dort die Signalweiterleitung.

„Aber“, werden manche von euch jetzt sagen, „du hast gesagt, dass Oxytocin oder Vasopressin Neuropeptide sind. Sind das nicht eigentlich Hormone?“ Und damit hättet ihr zwar recht, ich hätte allerdings ebenso recht. Denn ein Stoff kann gleichzeitig ein Hormon und ein Neuropeptid sein: Hormone sind Substanzen, die von einem Organ freigesetzt werden, über den Blutkreislauf weitertransprotiert werden, und dann auf ein anderes Organ wirken. Damit können einige Neuropeptide ohne Probleme auch Hormone sein. Und nicht nur das: Manche Stoffe, die von Nervenzellen freigesetzt werden – und damit als Neuropeptide gelten – können auch von anderen Zellen abgegeben werden und sind in diesem Fall dann keine Neuropeptide, sondern „nur“ Peptidhormone. Etwas verwirrend, ich weiß, aber letztendlich bedeutet das nur, dass ein und der selbe Stoff gleichzeitig ein Neuropeptid und ein Hormon sein kann, oder er kann zwar beides sein, aber jeweils in anderen Kontexten.

Ob das jetzt so wichtig ist? Da bin ich mir nicht so sicher. Denn schließlich sind „Neuropeptid“ und „Hormon“ nur menschengemachte Kategorien, um die Realität zu beschreiben, und in welche Kategorie wir eine Substanz stecken, ändert ihre Realität nicht.

Neuropetide steuern Hunger und Sättigung

Aber um weniger endlich weniger theoretisch zu werden, und uns Neuropeptide „in Aktion“ anzuschauen, betrachten wir zwei Substanzen, die an der Entstehung von Adipositas beteiligt sein können: α-MSH und NPY.

Beide sind unter anderem an der Regulation von Hunger- und Sättigungsgefühlen beteiligt und sind daher im Fokus der Adipositas-Forschung. Auch wenn ich mich jetzt auch auf diese Aufgabe der beiden Neuropeptide konzentrieren werde, sind sie ebenfalls wichtig für viele weitere Körperfunktionen.

α-MSH entsteht aus dem Vorläuferpeptid POMC. Denn je nachdem, wie POMC gespalten wird, können verschiedene Neuropetide daraus entstehen. In manchen Nervenzellen werden daraus die Melanocortine α-MSH, β-MSH oder γ-MSH gebildet, in anderen wiederum endogene Opioide oder ACTH, das die Synthese von Cortisol steuert. So ein Vorläuferpeptid, aus dem verschiedene Produkte entstehen können, ist sehr typisch für die Neuropeptide.

Wenn α-MSH dann gebildet ist – normalerweise, wenn wir etwas gegessen haben – kann es Rezeptoren an der Oberfläche anderer Nervenzellen aktivieren und dort seinen Effekt vermitteln:  der Hunger lässt nach und ein Sättigungsgefühl stellt sich ein.

Bei Menschen, die z.B. an genetisch bedingtem POMC-Mangel leiden, funktioniert dieser Regulationsmechanismus nicht. Der Hunger lässt trotz Essens nicht nach, und die Patient:innen entwickeln schweres Übergewicht. Daher gibt es einen Arzneistoff, Setmelanotid, der genauso wie α-MSH die entsprechenden Rezeptoren aktivieren und die Sättigung auslösen kann.

Struktur von NPY (Bild: Nevit Dilmen, Struktur: PDB 1RON)

NPY hat die entgegengesetzte Rolle: Die Freisetzung von NPY induziert Hunger, und auch Mutationen im NPY-System sind mit der Entstehung von Adipositas assoziiert. NPY wird genauso wie α-MSH aus einem Vorläuferpeptid gebildet, dem Prepro-NPY. Hier können daraus allerdings nicht so viele weitere Stoffe entstehen wie aus POMC, sondern nur ein weiterer, das C-flanking peptide, über das es nur sehr wenig Literatur gibt.

Und natürlich, wie das in der Biologie meistens ist, hängen die Signalwege von α-MSH und NPY auch zusammen. Zum Beispiel kann das gleiche Signal, das die Freisetzung von α-MSH auslöst, die Ausschüttung von NPY hemmen.

Das nur als kleines Beispiel für die Bedeutung von Neuropeptiden bei der Steuerung von so grundlegenden Dingen wie Hunger und Sättigung. Aber auf ähnliche Weise sind noch dutzende andere Neuropeptide an genauso grundlegenden Prozessen beteiligt.

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Biomolekül des Monats: Stickstoffmonoxid

Habt ihr euch schon einmal gefragt, was das kleinste bioaktive Molekül ist, das im menschlichen Körper gebildet wird? Es ist NO, also Stickstoffmonoxid. Und auch ansonsten ist NO ein eher ungewöhnliches Biomolekül. Außerdem ist ein zentraler Punkt in der Entstehung und der Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Daher möchte ich es euch diesen Monat vorstellen.

Stickstoffmonoxid

NO ist ein Signalmolekül. Es wird von Endothelzellen der Blutgefäße gebildet – das sind die Zellen, aus denen die Innenwände der Blutgefäße bestehen. Dieses Endothel ist umgeben von Muskelgewebe, das den Durchmesser der Blutgefäße steuert, und damit auch an der Regulation des Blutdrucks beteiligt ist. Stickstoffmonoxid ist eigentlich gasförmig, aber innerhalb von Zellen und im extrazellulären Medium liegt es gelöst vor. Nachdem es von den Endothelzellen freigesetzt wurde, breitet es sich durch Diffusion aus, bis es die Muskelzellen (glatte Muskelzellen, um genau zu sein) des Gefäßes erreicht. Dort kann es dann an ein Enzym binden, das lösliche Guanylatzyklase heißt. (Löslich deshalb, weil es gelöst im Zellinneren vorliegt, im Gegensatz zur membranständigen Guanylatzyklase, die an die Zellmembran gebunden ist.) Die Guanylatzyklase stellt den second messenger cGMP her, also einen weiteren Botenstoff, der dann dafür sorgt, dass die Muskelzellen relaxieren (= sich entspannen) und die Blutgefäße erweitert werden. Dadurch sinkt in dem entsprechenden Abschnitt der Blutdruck.

Struktur der löslichen Guanylatzyklase aus Manduca sexta als Bändermodell (Horst et al., eLife, 2019)

NO „lebt“ aber nicht besonders lang. Es ist – im Gegensatz zu den meisten anderen Biomolekülen – ziemlich reaktiv. Es reagiert innerhalb einiger Sekunden mit Sauerstoff und Wasser zu Nitrit (NO2) und Nitrat (NO3), die dann (fast) nicht mehr aktiv sind. Noch schneller reagiert es mit Superoxid-Anionen (O2·-). Bei oxidativem Stress werden mehr Superoxid-Anionen gebildet, und NO wird dadurch schneller abgebaut. Dadurch kommt es zu mehr verengten Gefäßen (und ein paar anderen Effekten wie Thrombozytenaggregation). Der oxidative Stress kann z.B. durch Rauchen oder Diabetes verursacht werden, und die Effekte auf die NO-Wirkung tragen zu einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen bei.

Da Stickstoffmonoxid so einen großen Einfluss auf die Regulation der Blutgefäße hat, ist es aber auch ein guter Ansatzpunkt für Arzneistoffe. Weil diese Arzneistoffe im Körper NO freisetzen, bezeichnet man sie als NO-Donatoren. Einer davon ist Glyceroltrinitrat (umgangssprachlich Nitroglycerin) – ein Stoff, der sowohl als Arznei- als auch als Sprengstoff verwendet wird. Es wird nach der Einnahme enzymatisch gespalten, wodurch NO freigesetzt wird und seine Wirkung entfalten kann. Eingesetzt wird Glyceroltrinitrat bei Angina pectoris, einem straken Schmerz, der durch eine zu schwache Durchblutung des Herzens entsteht. Ich möchte hier nicht ausführlich auf die Wirkung von Glyceroltrinitrat/NO bei Angina pectoris eingehen (weil wahrscheinlich keiner von uns – am allerwenigsten ich –will, dass ich jetzt ausufernd die notwendige Hämodynamik erkläre), aber letztendlich ruft das freigesetzte NO eine Gefäßerweiterung hervor, wodurch das Herz wieder besser mit Blut versorgt wird.

Struktur von Glyceroltrinitrat

Obwohl ich mich jetzt vor allem auf die Wirkung von NO als Botenstoff in den Blutgefäßen konzentriert habe, hat es noch viele weitere Aufgaben. Zum Beispiel wird NO von Nervenzellen gebildet. Im peripheren Nervensystem (also überall außer im Gehirn und Rückenmark) wirkt NO sogar als Neurotransmitter, d.h. als Botenstoff, der Signale von einer Nervenzelle zur nächsten weiterleitet. Das macht NO aber ebenfalls nicht so wie „normale“ Neurotransmitter, die in der Synapse an membranständige Rezeptoren der postsynaptischen Nervenzelle binden. Stattdessen diffundiert NO in die postsynaptische Nervenzelle und interagiert dort wieder mit einem Enzym, wie bei der Guanylatzyklase auch. Aber auch Immunzellen produzieren NO, und zwar in so großen Mengen, dass es eine toxische Wirkung auf Bakterien oder Parasiten hat.

Das war das Biomolekül des Monats Juli. Wenn euch dieser Beitrag gefallen hat, dann abonniert doch gerne meinen Newsletter, damit ihr keinen neuen Blogbeitrag mehr verpasst (am Desktop auf der rechten Seite oder mobil ganz unten in der Fußzeile). Und hier geht es zum Biomolekül des letzten Monats.

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