Am 02.08.2022 habe ich hier auf PharmBlog den allerersten Beitrag veröffentlicht. Es ging damals um die Bedeutung der Pharmakokinetik, und ich habe versucht, in dem Beitrag einen kleinen Überblick über dieses weite Feld zu geben.
Jetzt, ein Jahr später, sind schon 12 weitere Texte dazugekommen. Es ging dabei unter anderem um Fliegenpilzgift, die Nobelpreise, Opioide und DNA-Sequenzierung. Und was soll ich sagen: was einfach nur als kleiner Versuch gestartet ist, ist mir inzwischen ein liebes Hobby geworden.
Was müsst ihr also von diesem Geburtstagstext erwarten? Es wird auf jeden Fall kein normaler Beitrag. Stattdessen werde ich ein wenig über die Entwicklung von PharmBlog im letzten Jahr schreiben. Außerdem habe ich euch auf Twitter (oder X, danke Elon) und Mastodon gebeten, mir Fragen zu stellen, die ihr gerne von mir beantwortet hättet.
Fangen wir mit den Fragen doch direkt an:
Frage 1: Abgelaufene Arzneimittel
Auf Twitter hat @WKW_AK gefragt, ob abgelaufene Arzneimittel wirklich immer entsorgt werden müssen, oder ob, am Beispiel von Ibuprofen, einfach nur der Wirkstoffgehalt abnimmt und aus einer Ibu mit 400 mg irgendwann eine mit 200 mg wird.
Und die kurze aber unbefriedigende Antwort ist: Ja, prinzipiell sollten abgelaufene Arzneimittel nicht mehr verwendet werden. Für die lange Antwort müssen wir uns mit drei Dingen beschäftigen: Dosierungsgenauigkeit, Toxizität und mikrobielle Kontamination.
1.) Dosierungsgenauigkeit: Über die Zeit wird der Wirkstoff in einem Arzneimittel durch chemische Prozesse abgebaut. Die gesetzliche Vorgabe ist, dass innerhalb der Laufzeit eines Arzneimittels (also der Zeit bis es abgelaufen ist), immer mindestens 95 % des deklarierten Wirkstoffgehalts enthalten sein müssen. Und auch, wenn der Wirkstoff in Realität oft eher langsamer degradiert, kann nach dem Ablaufdatum niemand mehr sagen, wie viel Arzneistoff in dem Arzneimittel wirklich noch drin ist. Das macht die Einhaltung der richtigen Dosierung natürlich ein bisschen schwerer. Und klar, für 400er Ibus ist das vielleicht kein so großes Problem. Aber bei lebenswichtigen Arzneimitteln kann das schon ziemlich entscheidend sein.
2.) Toxizität: Ein Wirkstoff (und Hilfsstoffe übrigens auch) bauen sich über die Zeit also ab. Aber was entsteht aus ihnen? Und ist der entstehende Stoff vielleicht gefährlich? Das ist der zweite Aspekt, den wir bedenken müssen. Das sind Fragen, die für jedes Arzneimittel einzeln beantwortet werden müssten. Da das aber viel zu viel Arbeit wäre ist die generelle Empfehlung, keine abgelaufenen Arzneimittel zu benutzen, die bessere und einfachere Alternative.
Trotzdem möchte ich das am Beispiel von Ibuprofen einmal durchspielen: Ein Paper von 2002 hat insgesamt 13 Abbauprodukte von Ibuprofen identifiziert. Eines davon (1-(4-isobutylphenyl)-1-ethanol) ist ein bekannter Vorläufer des toxischen Stoffes 4-Isobutylacetophenon. Ein anderes Paper hat die Toxizität von einigen bekannten Abbauprodukten von Ibuprofen untersucht. Dabei kam heraus, dass zwei der Stoffe in vitro toxisch auf Nieren- und Leberzellen wirken. Natürlich ist eine einzelne in vitro-Studie nicht sehr aussagekräftig. Aber da sich die Abbauprodukte in eben diesen Organen ansammeln könnten, lohnt es sich auf jeden Fall vorsichtig zu sein.
3.) Mikrobielle Kontamination: Für feste Arzneimittel wie Tabletten ist dieser Punkt nicht so entscheidend. Aber für halbfeste und flüssige Arzneimittel – vor allem wenn die wasserbasiert sind – ist dieser Punkt sehr entscheidend. Denn in ihnen können Mikroorganismen wachsen, die potentiell krank machen können. Bis zum Ende der Laufzeit (bzw. der Aufbrauchfrist!) ist garantiert, dass das nicht passiert. Danach gibt es diese Garantie nicht mehr, und gerade bei sterilen Arzneimitteln (z.B. Augentropfen oder Injektionslösungen) ist das kein Risiko, das man eingehen sollte.
(Dann gibt es auch noch Dinge wie physikalische Instabilitäten, aber die Antwort ist sowieso schon lang genug.)
Frage 2: Thyroxin-Unverträglichkeit
Eine andere Frage erreichte mich per DM: Die Person, die die Frage gestellt hat, leidet an Hashimoto-Thyreoiditis. Das ist eine Erkrankung der Schilddrüse, die oft mit dem Schilddrüsenhormon L-Thyroxin behandelt wird. Die fragende Person hat allerdings eine Unverträglichkeit gegen L-Thyroxin und möchte gerne wissen, woran das liegen könnte.
Hier muss ich leider sagen, dass ich darauf keine abschließende Antwort geben kann. L-Thyroxin ist ein natürlich vorkommendes Hormon (in dem Kontext meistens T4 genannt). Daher sind Unverträglichkeiten hier eigentlich sehr selten. Ich konnte einige Fallberichte von L-Thyroxin-Unverträglichkeiten finden, aber wenige weiteren Informationen. Die meisten Fälle von L-Thyroxin-Unverträglichkeiten scheinen auf jeden Fall mit einer bestehenden Anämie oder einem Eisen-Mangel zusammenzuhängen. Was allerdings auch sein kann, ist dass die Unverträglichkeit gegen einen Hilfsstoff in dem Arzneimittel gerichtet ist (wie zum Beispiel in diesem Fall). Und woran auch immer es liegt, konkrete Handlungen in so einem Fall sollten immer mit einer/einem Ärzt:in abgesprochen werden.
Frage 3: Natron-Vulkan und Brausetabletten
Eine letzte Frage ist noch übrig, die mir persönlich gestellt wurde. Die Frage ist (und ich paraphrasiere hier nur wenig): wie funktioniert das mit dem Natron? Also wieso entsteht Schaum, wenn ich Natron mit etwas saurem wie Essig oder Zitronensäure mische, z.B. in Natronvulkanen oder auch in Brausetabletten?
Der Grund dafür ist eine Säure-Base-Reaktion. Natron ist der Trivialname für Natriumhydrogencarbonat (NaHCO3). Es kann ein Proton (H+-Ion) aufnehmen, das von einer Säure bereitgestellt wird, z.B. von der Zitronensäure. Das ganze funktioniert aber nur, wenn beides in Wasser gelöst ist. Wenn ihr einfach trockenes Natron und Zitronensäure mischt, passiert nichts. Deshalb sprudeln Brausetabletten auch erst in einem Glas Wasser und nicht schon in der Packung. Wenn das Natron das Proton aufnimmt, entsteht Kohlensäure (H2CO3, das gleiche wie im Sprudelwasser). Und Kohlensäure wiederum ist nichts anderes als gelöstes CO2. Da Wasser nur eine begrenzte Menge an CO2 aufnehmen kann (so wie ihr auch z.B. nicht unendlich viel Salz in Wasser lösen könnt), bildet sich hauptsächlich das Gas, das dann Gasblasen und Schaum formt. Und ja, genauso simpel funktioniert das tatsächlich in Brausetabletten auch, für die meistens NaHCO3 und Zitronensäure benutzt werden.
Ein paar persönliche Worte
Bis zu dem Tag, an dem ich das hier schreibe (der 01.08.), hatte PharmBlog insgesamt 693 Aufrufe und 499 Besucher. Der – mit Abstand – meist gelesene Artikel ist Gute Studien – Schlechte Studien: Aussagelose Wasserlinsen und Homöopathie, danach folgt Das kleine Vitamin-ABC: Die Biologie der Vitamine. Der am wenigsten gelesene Artikel war hingegen mein Text über den Medizin-Nobelpreis 2022.
Außerdem habe ich lange darüber nachgedacht, ob ich einen Lieblingstext aus dem letzten Jahr habe. Und das ist natürlich nicht ganz einfach. Aber wenn ich eine Entscheidung treffen müsste, dann wäre es vermutlich Opioide ohne Nebenwirkungen? – Biased Ligands. Ein Grund dafür ist, dass dieses Thema die Verbindung zwischen der Pharmazie und den molekularen Biowissenschaften, die ich so faszinierend finde, sehr schön verdeutlicht.
Wie wird es nach diesem ersten Jahr jetzt weitergehen mit PharmBlog? Es wird auf jeden Fall weiterhin zwei Beiträge pro Monat geben (so ich das zeitlich schaffe). Und ich habe einige sehr coole Texte geplant. Ich will zum Beispiel über CAR-T Zellen schreiben, also gentechnisch veränderte Immunzellen zur Krebstherapie. Außerdem ist ein Text über die genetic code expansion geplant, eine molekularbiologische Technik, mit der eine der grundlegendsten Eigenschaften des Lebens ausgehebelt werden kann. Außerdem wird es natürlich mit dem Biomolekül des Monats weitergehen (aber ich werde euch noch nicht spoilern, was es diesen Monat sein wird).
Wenn ihr nichts davon verpassen wollt, dann abonniert auf jeden Fall meinen Newsletter und folgt PharmBlog auf Twitter (X…) oder Mastodon!
Zum Schluss bleibt mir dann nur noch, mich bei euch, den Leser:innen dieses Blogs, zu bedanken. Mir hat es großen Spaß gemacht, diesen Blog das vergangene Jahr über zu betreiben und ich hoffe, dass ich euch hier auch weiterhin spannende Beiträge über die Wissenschaft hinter Arzneimitteln bieten kann.